AllgemeinInternetstrafrecht

Stalking und § 238 StGB – noch immer nicht ausreichend reguliert?

Trotz bereits erfolgter Reformen im Strafrecht zeigt uns die tägliche Auseinandersetzung mit der digitalen Welt: Noch immer bestehen Lücken bzw. Unbestimmtheiten im Gesetz. Gerade durch die sozialen Netzwerke können Straftaten wie Nachstellung oder Beleidigungen deutlich leichter durchgeführt werden. Cybermobbing, Belästigung und auch Stalking sind Delikte, die viele Menschen täglich erfahren oder vielleicht auch selbst schon unwissentlich verübt haben. Doch wo wird abgegrenzt, wann sind Kommentare nicht mehr einfach nur die Wiedergabe der eigenen Meinung? Wann dient das Ausforschen eines fremden Profils nicht mehr dem Stillen von Neugier, sondern ist bereits als Stalking zu qualifizieren? Und am wichtigsten: Wie kann repressiv und präventiv gegen derartige Straftaten vorgegangen werden, die nach wie vor in großer Zahl auftreten?

Stalking erfahren Betroffene als psychologischen Terror, der traumatische Folgen mit sich bringen kann.[1] Denn Stalker verfolgen, belästigen und bedrohen Menschen oftmals Tag und Nacht über lange Zeit. Die Übergriffe schließen meist auch sexuelle und körperliche Gewalt mit ein. Und auch in sozialen Netzwerken und über verschiedene Apps kommt es immer häufiger vor, dass Menschen ausspioniert, belästigt oder eingeschüchtert werden. Fake-IDs existieren ebenfalls in großer Zahl.[2]

Das BMJV beschloss nun, dass diese Problematik einer weiteren Regulierung bedarf: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht äußerte den Bedarf nach einer Reform. Ihrer Ansicht nach seien die Hürden für eine Strafbarkeit durch Nachstellung i.S.v. § 238 StGB, dem sog. Stalking-Paragrafen, zu hoch.[3] Dies zeige auch ein kürzlich im Kabinett verabschiedeter Bericht zur Auswertung der Regelungen. Der Evaluierungsbericht[4] legt dar, dass zwar durch die letzten im März 2017 vorgenommenen Änderungen mittels des „Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellung“ bereits eine erleichterte Anwendung des § 238 StGB und damit auch des Opferschutzes erfolgt ist. Doch es treten noch immer erhebliche Probleme in der Praxis bei der Bekämpfung von Stalking auf. Beispielsweise besteht häufig ein inkonstantes Aussageverhalten der Opfer im Zusammenhang mit Trennungen und anschließenden Versöhnungen.[5] Aus diesem Grund solle die Rechtsnorm eine erleichterte Anwendbarkeit erfahren und die Strafbarkeitsschwelle gesenkt werden. Ein entsprechender Entwurf wurde bereits vom BMJV veröffentlicht, zu dem sich die Länder und Verbände bis zum 01.03.2021 äußern können.[6] Als Erläuterung für den Entschluss zur Reform führte die Bundesministerin unter anderem an, dass 11 Prozent der Menschen mindestens einmal in ihrem Leben Erfahrungen mit Stalkern machen, die meisten darunter Frauen, aber in etwas selteneren Fällen auch Männer. Ihr Ziel ist es daher, die Betroffenen besser zu schützen, mehr Fälle vor Gericht zu bringen und die Täter konsequent zur Verantwortung zu ziehen.[7]

Durch die zunehmende Fokussierung des Alltagsgeschehens auf die digitalen Medien tritt zudem auch vermehrt das sog. Cybermobbing auf. Statistiken zeigen, dass besonders im vergangenen Jahr 2020, das aufgrund der Corona-Pandemie von Homeoffice, Homeschooling und generell einer erhöhten Online-Aktivität geprägt war, die Mobbingangriffe im Internet gestiegen sind.[8] Die Studie „Cyberlife“ beschäftigte sich bereits in den Jahren 2013 und 2017 mit der Entwicklung des Online-Mobbings unter Schülerinnen und Schülern und hat nun einen dritten Durchgang im Jahr 2020 vorgenommen.[9] Diesem zufolge ist die Anzahl von Mobbingfällen im Internet in den letzten drei Jahren um über ein Drittel gestiegen. Aussagen von Kindern und Jugendlichen zeigen, dass an die 17,3 Prozent betroffen sind. Das Ausleben von Freundschaften im Internet wurde durch die Pandemie noch mehr verstärkt, da andere Arten des Kontakts derzeit aufgrund der Maßnahmen kaum möglich sind. Zudem besitzen Kinder heutzutage bereits deutlich früher technische Geräte wie eigene Laptops oder Smartphones. All dies trägt dazu bei, dass sie häufiger Opfer von Beleidigungen, verbreiteten Gerüchten oder Verleumdungen im Internet werden. Ausgrenzungen durch das Ausschließen aus WhatsApp-Gruppen, Ignorieren von Kontaktanfragen oder Bloßstellungen durch das Verbreiten privater Fotos können einfacher und unabhängig von Ort und Zeit stattfinden.[10] In diesem Zusammenhang erscheint auch die Forderung der Bundesjustizministerin nach mehr Sicherheit im Internet und der gesetzlich normierten Strafbarkeit von Cybermobbing gerechtfertigt. Die Ausforschungen von anderen Personen im Netz sowie Einschüchterungen, Diffamierungen und Vortäuschungen von falschen Identitäten sollen nicht länger straffrei bleiben, weshalb diese künftig ausdrücklich als digitales Stalking unter Strafe gestellt werden sollen. Den Gesetzesentwurf dazu will die Ministerin in Kürze vorlegen.[11]

Nach der aktuellen Fassung des § 238 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen, indem er beharrlich eine der in den Nummern 1 bis 5 genannten Handlungen vornimmt. Um die Anwendbarkeit zu erleichtern, soll der Wortlaut der Norm der Ministerin zufolge eine Änderung erfahren und der Begriff „beharrlich“ gegen „wiederholt“ ersetzt werden. Anstelle von „schwerwiegenden“ Beeinträchtigungen sollen künftig „nicht unerhebliche“ genügen. Die aktuelle Formulierung sei zu unbestimmt und erschwere den Gerichten die praktische Anwendung. Das Strafmaß von drei Jahren Haft soll des Weiteren im Rahmen einer Neuregelung für besonders schwere Fälle auf eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren angehoben werden.[12] Bisher gilt dies lediglich in Fällen, in denen Leben und Gesundheit des Opfers oder von dessen Angehörigen in Gefahr gebracht werden, die Novellierung würde dies dem Bericht zufolge auch für besonders langwierige Nachstellungen oder bei Verstoß gegen ein Kontaktverbot anordnen.[13]

Die geplanten Änderungen stießen bereits im Vorhinein auf gemischte Kritik. Während beispielsweise der Weiße Ring, eine Opferberatungsorganisation, die Änderungen des Wortlauts von § 238 StGB als sinnvoll erachtet und sogar anstelle des „wiederholten“ Handelns eine Schwelle von fünfmaligem Vorkommen vorschlägt,[14] halten andere Meinungen wenig von der Begriffsänderung. Auch die neue Formulierung „wiederholt“ stelle einen unbestimmten Begriff dar, was es noch mehr erschwere, Stalking von allgemeinem Alltagsverhalten abzugrenzen.[15]

Des Weiteren wird zum Teil auch eingewendet, dass das Handeln gegen Stalking nicht erst bei der Strafverfolgung beginnen dürfe. Da ein Strafprozess oftmals Jahre dauern kann, könnte insoweit das Gewaltschutzgesetz eine deutlich schnellere und effektivere Möglichkeit für das Opfer darstellen, um sich zu schützen. Betroffene könnten durch das Amtsgericht unangebrachte Kontaktaufnahmen oder Annäherungen untersagen lassen, bevor ein Strafverfahren in Gange ist.[16] Auch den Dunkelziffern bezüglich der Vorfälle müsse entgegengewirkt werden; Aufgrund von Scham, Leugnung oder schlichter Resignation über den langwierigen Rechtsweg erscheinen viele Fälle erst gar nicht vor Gericht. Die Stimmen fordern daher vor allem klare Rechtsvorschriften vor einem erhöhten Strafmaß, damit Opfer einen zeitnahen Rechtspruch zu ihren Gunsten erhalten.[17]

Zur Vorlage des BMJV sind bisher noch keine Äußerungen der Länder eingetreten, wie der Entwurf entgegengenommen wird, bleibt daher vorerst abzuwarten.


[1] BMJV will Stalking besser bekämpfen, LTO.de, 16.02.2021, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[2] Zitat von Christine Lambrecht vom 3. Februar 2021, BMJV.de, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[3] Zitat von Christine Lambrecht vom 3. Februar 2021, BMJV.de, Zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[4] BMJV, Evaluierungsbericht des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Neufassung des § 238 Strafgesetzbuch durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen vom 1. März 2017 zur Vorlage an den Deutschen Bundestag, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[5] Evaluierungsbericht des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Neufassung des § 238 Strafgesetzbuch (Nachstellung / „Stalking“), BMJV.de, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[6] BMJV will Stalking besser bekämpfen, LTO.de, 16.02.2021, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[7] Zitat von Christine Lambrecht vom 3. Februar 2021, BMJV.de, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[8] Haug, Beschimpft, bedroht und genötigt – 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, Spiegel Online, 02.12.2020, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[9] Beitzinger/Leest/Schneider, Cyberlife III – Spannungsfeld zwischen Faszination und Gefahr. Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern, November 2020, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[10] Haug, Beschimpft, bedroht und genötigt – 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, Spiegel Online, 02.12.2020, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[11] Zitat von Christine Lambrecht vom 3. Februar 2021, BMJV.de, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[12] Zitat von Christine Lambrecht vom 3. Februar 2021, BMJV.de;  Justizministerin will Stalker härter bestrafen, Spiegel Online, 03.02.2021, jeweils zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[13] Justizministerin will Stalker härter bestrafen, Spiegel Online, 03.02.2021, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[14] Besserung für Stalking-Opfer in Sicht?, LTO.de, 03.02.2021, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[15] Besserung für Stalking-Opfer in Sicht?, LTO.de, 03.02.2021, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[16] Besserung für Stalking-Opfer in Sicht?, LTO.de, 03.02.2021, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.

[17] Besserung für Stalking-Opfer in Sicht?, LTO.de, 03.02.2021, zuletzt aufgerufen am 07.03.2021.