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TikTok, ein Facebook im neuen Gewand

Soziale Netzwerke sind nützlich. Man kann mit Bekannten in Kontakt bleiben, neue Freunde finden, mit Tutorials seine Fähigkeiten ausbauen, kreative Interessen ausleben und sich mit unterhaltsamen Inhalten die Zeit vertreiben. Auf der Kehrseite fördern sie Cybermobbing, sind hervorragende Prokrastinationsinstrumente und produzieren, einem regelmäßig laxen Verständnis von Privatsphäre und Datenschutz sei Dank, zunehmend gläserne Nutzerinnen und Nutzer. Je intensiver einschlägige Apps genutzt werden, desto transparenter werden für die Plattformbetreiber und deren (Werbe‑)Partner die Interessen und Lebenssituationen ihrer potenziellen Zielgruppen. Die negativen Aspekte sind besonders mit Blick auf Kinder und Jugendliche ein heikles Thema, zugleich wollen die Netzwerke genau diese primär ansprechen.

Eine Erfolgsstory „Made in China“

TikTok stellt kurze Videoclips in den Fokus und positionierte sich damit zwischen der Videoplattform YouTube und der Foto-Sharing-App Instagram und hat Facebook als wichtigstes soziales Netzwerk jüngerer Generationen abgelöst. Auch Instagram sieht seine Felle davonschwimmen und scheut keine Mühe, um mehr wie der chinesische Konkurrent zu werden. Seit 2020 gibt es auf Instagram den TikTok-Klon Reels, kurze Videos im smartphonetauglichen Hochformat, die mit unzähligen Musiksequenzen, Effekten und Filtern bearbeitet werden können.[1] Auch der Algorithmus – während TikTok seinen Usern Content vorschlägt, der deren bisherigen Interessen am meisten ähnelt, empfiehlt Instagram vorwiegend Inhalte, die möglichst vielen anderen Usern gefallen[2] – soll künftig gezielter die Vorlieben der Nutzerinnen und Nutzer bedienen.[3]

Diskriminierung und Datenschutzsünden

Einen faszinierenden Einblick in die Funktionsweise des streng geheimen TikTok-Algorithmus erlaubte ein Experiment der Tageszeitung The Wall Street Journal (WSJ) mittels Bot-Accounts:[4] Die App hatte die Interessen der WSJ-Bots innerhalb kürzester Zeit geknackt, teilweise in weniger als 40 Minuten. Dieses System, das den jeweiligen Feed mit unzähligen ähnlichen Videos füttert und so eine „Bubble“ entstehen lässt, kann zu ernsthaften Problemen führen. Was als noch mäßig enthusiastische Neugier auf „What I eat in a day“, Fitness- und andere „Goals“ oder politische Themen beginnt, kann durch den verstärkenden Effekt der Bubble zu Essstörungen, Depressionen oder einem tatsächlichen Abdriften in die Welt der Verschwörungstheoretiker führen.[5] Dem als Beispiel gezeigten Account wurde nach nur etwa 36 Minuten aufgrund der Verweildauer des Bots bei bestimmten Videos fast ausschließlich (rund 93%) weitere depressive Inhalte vorgeschlagen.[6] Selbst Bots mit „Mainstream“-Interessen wurden in zunehmend extreme Randnischen getrieben.[7]

Und auch durch das sogenannte „shadow banning“, bei dem unerwünschte Inhalte in den Feeds nicht angezeigt werden, stößt TikTok vermehrt auf Kritik. Diese Praxis betrifft insbesondere TikToks von Usern, die nicht dem Idealbild der App entsprechen oder die sich mit Themen befassen, die der App missfallen. Beispiele für Zensur, sei es durch Beschränkung der Reichweite oder Löschen der Videos, gibt es zuhauf, LGBTQ-Content, unattraktive Nutzerinnen und Nutzer oder solche mit körperlichen Beeinträchtigungen und eine „hässliche“ Umgebung sind nur einige davon.[8]

Unabhängig von der Moderation der Inhalte werden anscheinend auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontrolliert. In einer Beschwerde bei der Berliner Datenschutzbehörde war von Anweisungen, im Homeoffice Firmen-Apps mit weitreichenden Zugriffsrechten auf die privaten Smartphones zu laden, die Rede.[9]

Niederländische Datenschutzbehörde verhängt Bußgeld gegen TikTok

Die niederländische Aufsichtsbehörde Autoriteit Persoonsgegevens (AP) hat vor Kurzem wegen gravierender Datenschutzmängel ein Bußgeld in Höhe von 750.000 Euro gegen den TikTok-Betreiber ByteDance verhängt. Die App habe die Privatsphäre vor allem von Kindern verletzt: Die Datenschutzerklärung sei lange Zeit nur auf Englisch verfügbar gewesen, so hätten gerade jüngere Nutzerinnen und Nutzer nicht einschätzen können, wie ihre personenbezogenen Daten erhoben, verarbeitet und genutzt werden.[10] Bereits im Oktober 2020 hatte die AP einen Bericht an TikTok übermittelt, der zahlreiche problematische Punkte insbesondere in Bezug auf minderjährige Nutzer offengelegt hatte.[11] Inzwischen wurden einige Mängel behoben, doch es sei nach wie vor zu einfach für Kinder, mit dem Alter zu schummeln und sich so diversen Risiken – unter anderem Cybergrooming oder ‑mobbing – auszusetzen.

Die Untersuchung der AP war eingeleitet worden, bevor TikTok eine Niederlassung in der EU eingerichtet hatte.[12] So konnte sich jede mitgliedstaatliche Datenschutzbehörde für zuständig erklären. Nachdem inzwischen ein TikTok-Firmensitz in Irland existiert, ist nun die irische Data Protection Commission (DPC) zuständig.[13]

Die DPC gilt als notorisch (nach‑)lässig im Umgang mit großen Digitalkonzernen.[14] Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hatte seinern irischen Amtskollegin erst im März vorgeworfen, wichtige Verfahren zu verschleppen und ihr Zögern mit unwahren Aussagen zu verschleiern.[15] Das in Art. 56 DSGVO geregelte „One Stop Shop“‑Prinzip sorgte lange Zeit dafür, dass Konzerne wie Facebook sich durch eine Hauptniederlassung in Irland quasi die DPC als zuständige Aufsichtsbehörde aussuchen konnten und sorgte zunehmend für Ärger bei Datenschützern anderer Mitgliedstaaten, da die DPC mit ihrer passiven Haltung etwaige Initiativen anderer Aufsichtsbehörden bis zu einem gewissen Grad unterbinden konnte.[16]

Diese Problematik hat auch der EuGH erkannt: In einem in diesem Punkt wegweisenden Urteil gegen Facebook stellte der Gerichtshof fest, dass nationale Behörden unter gewissen Voraussetzungen auch dann gegen DSGVO-Verstöße vorgehen können, wenn sie nicht die federführende Behörde sind.[17]

Ausblick

Die Diskussionen rund um TikTok sind nicht per se neu. Viele Themen erinnern stark an Kritik, der sich auch Facebook stellen musste (und muss). Ähnliches gilt für andere Plattformen wie Clubhouse und Vorgänger-Netzwerke wie MySpace, wenn auch vielleicht in geringerem Umfang. Das Bedürfnis, die Nutzerinnen und Nutzer möglichst gut zu kennen, ist allen – oder zumindest der großen Mehrheit – gemeinsam. Die detaillierten Profile lassen sich im Zusammenhang mit zielgerichteter Werbung in bares Geld umwandeln und sind der Hauptgrund dafür, dass Facebook heute zu den wertvollsten Unternehmen der Welt gehört.[18]

Die Ablösung durch die nächste Hype-App ist nur eine Frage der Zeit, der nächste Datenschutz-Skandal so sicher wie das Amen in der Kirche. Neben völliger Abstinenz bleibt nur ein gesundes Maß an Vorsicht beim Posten privater Informationen. Vor allem jedoch muss das Bewusstsein für mögliche Risiken gestärkt und Nutzerinnen und Nutzer – bzw. deren Eltern – sensibilisiert werden.


[1] Vgl. Facebooks TikTok-Klon startet in rund 50 Ländern, Spiegel Online, 05.08.2020.

[2] Vgl. Tashjian, How TikTok Helped Hedi Slimane Kill the Skinny Jean, GQ.com, 28.07.2021.

[3] Vgl. Kleinz, Instagram will mehr wie TikTok sein, Spiegel Online, 01.07.2021.

[4] WSJ, Investigation: How TikTok’s Algorithm Figures Out Your Deepest Desires, WSJ.com, 21.07.2021; Mercado, So This Is How TikTok Knows So Much About You, The Cut, 22.07.2021, dort auch zum Folgenden.

[5] Vgl. etwa Dias e.al., The TikTok spiral, abc.net.au, 26.07.2021, dort auch zum Folgenden.

[6] WSJ, Investigation: How TikTok’s Algorithm Figures Out Your Deepest Desires (ab 08:41), WSJ.com, 21.07.2021.

[7] WSJ, Investigation: How TikTok’s Algorithm Figures Out Your Deepest Desires (ab 11:00), WSJ.com, 21.07.2021

[8] Vgl. unter anderem Dias e.al., The TikTok spiral, abc.net.au, 26.07.2021; Sippel, Diskriminierung bei „TikTok“ – „Hässliche“ Menschen?, FAZ.net, 19.03.2020; Köver e.al., TikToks Obergrenze für Behinderungen, Netzpolitik.org, 02.12.2019; Reuter/Köver, Die Kritik-Drossel von TikTok, Netzpolitik.org, 19.11.2019; Wittenhorst, Videoplattform TikTok blockiert Inhalte mit Bezug zu Homosexualität, Netzpolitik.org, 30.09.2019; Weiß, Leak: Wie TikTok-Moderatoren Inhalte zensieren, Heise Online, 25.09.2019; Weiß, Zensur-Vorwurf gegen TikTok: Hongkong-Proteste unterrepräsentiert, Heise Online, 16.09.2019.

[9] Vgl. TikTok-Mitarbeiter sorgen sich offenbar um persönliche Daten, Spiegel Online, 23.07.2021.

[10] Vgl. Krempl, EU-Datenschutzstrafen für TikTok und französische Versicherungsgruppe, Heise Online, 23.07.2021.

[11] Vgl. Autoriteit Persoonsgegevens, TikTok fined for violating children’s privacy, Pressemitteilung vom 22.07.2021, dort auch zum Folgenden.

[12] Vgl. Autoriteit Persoonsgegevens, TikTok fined for violating children’s privacy, Pressemitteilung vom 22.07.2021, dort auch zum Folgenden.

[13] Vgl. European Data Protection Board (EDPB), Pressemitteilung vom 08.07.2021.

[14] Vgl. etwa Dachwitz, Datenschutzwüste Irland – „So langsam müssen die mal in die Pötte kommen“, Netzpolitik.org, 22.05.2021; Krempl, Große DSGVO-Verfahren: Deutsche Datenschützer wollen die Iren zum Jagen tragen, Heise Online, 27.11.2019;

[15] Siehe den Brief des BfDI vom 16.03.2021 (via Noyb); Fanta, Irische Datenschutzbehörde macht „falsche Aussagen“, Netzpolitik.org, 18.03.2021.

[16] Vgl. Heidrich, EuGH-Urteil stärkt Datenschutzbehörden gegenüber US-Tech-Konzernen, Heise Online, 19.07.2021.

[17] EuGH, Urt. v. 15.06.2021 – C-645/19, vgl. Büttel, EuGH: Nicht nur irische Datenschutzbehörde für Einleitung von Verfahren gegen Facebook zuständig, For..Net Blog, 17.06.2021.

[18] Vgl. Sokolov, Gerichtsentscheidung hebt Facebooks Börsenwert über eine Billion Dollar, Heise Online, 30.06.2021.

Sämtliche Links wurden zuletzt am 29.07.2021 abgerufen.