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VG Köln: Die aktuelle Version des Online-Tools „Wahl-O-Mat“ verletzt das Recht auf Chancengleichheit

Seit 2002 bietet der Wahl-O-Mat gerade unentschlossenen Wählern eine Entscheidungshilfe. Auch im Vorfeld der Europawahl 2019 konnten Benutzer des Online-Tools zu 38 Thesen der Europapolitik Stellung nehmen, indem sie diese mit „stimme zu“, „stimme nicht zu“, „neutral“ oder „These überspringen“ beantworteten. Sodann mussten sie bis zu acht aus den 41 an der Wahl teilnehmenden Parteien und Vereinigungen auswählen, woraufhin anhand des Frage-Antwort-Prinzips der Grad der Übereinstimmung mit diesen errechnet wurde. Kurz vor der Wahl ging jedoch die Partei Volt Deutschland gegen die Bundeszentrale für politische Bildung gerichtlich vor, woraufhin der Wahl-O-Mat für vier Tage offline gehen musste und eine Entscheidung des VG Köln über die Verfassungskonformität des benannten Internetangebots erging (Beschl. v. 20.05.2019 – 6 L 1056/19).

 

Hintergrund und Sachverhalt

Dem Beschluss liegt ein von der Bundeszentrale für politische Bildung entwickeltes System zur Ermittlung der Übereinstimmungen der Nutzerantworten mit den Parteiprogrammen der am Wahl-O-Mat teilnehmenden Parteien zugrunde. Aufgerufen werden konnte die Wahlentscheidungshilfe im Internet unter www.wahl-o-mat.de/europawahl2019 oder in der Applikation „Wahl-O-Mat-App“.

In ihrem Hauptantrag erstrebte die Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung durch das Gericht zu verpflichten, die Übereinstimmungsquote des jeweiligen Nutzers mit dem Parteiprogramm der Antragstellerin ohne vorausgehende Auswahl der Antragstellerin durch den Nutzer darzustellen. Die Antragstellerin begehrte hiermit die Behebung eines Verstoßes gegen das aus Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitete Recht auf Gleichbehandlung der bei der Europawahl 2019 antretenden Parteien.

 

Rechtsansicht des VG Köln

Indem der Hauptantrag auf die Besserstellung der Antragstellerin im Vergleich zu anderen kleineren bzw. unbekannteren Parteien abzielte, wäre aber eine Ungleichbehandlung nicht behoben; insbesondere kann der Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung nur auf die Beseitigung der Ungleichbehandlung gerichtet sein.

Aufgrund dessen sah das VG Köln den Hauptantrag als unbegründet an.

Dem ersten Hilfsantrag gab das VG Köln jedoch statt.

Da das von Volt verfolgte Ziel – es der Antragsgegnerin zu untersagen, ihr System zu betreiben, soweit die Anzeige von der Auswahl einer Anzahl von Parteien abhängig gemacht – bereits durch die einstweilige Anordnung erreicht worden wäre, waren an die Voraussetzungen – Anordnungsanspruch und -grund – für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO hohe Anforderungen zu stellen. Der hohe Maßstab war aus Sicht des Gerichts jedoch erfüllt. Zur Begründung führte es an, dass die Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit der Antragstellerin bei einem Versagen der einstweiligen Anordnung und einer Entscheidung erst nach dem Wahltag einen unzumutbaren Nachteil darstellen würde, der später nicht mehr beseitigt werden könnte, was wiederum mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar wäre. Insofern konnte eine vorwegnehmende einstweilige Anordnung ausnahmsweise erlassen werden.

Es sei nicht ersichtlich, warum eine Vorauswahl von bis zu acht Parteien gewährleistet werden müsste. Ferner sei der Wahl-O-Mat als Medium gedacht, um dem Nutzer zu einer Auseinandersetzung mit den Inhalten der zur Wahl stehenden Parteien zu verhelfen. Er stelle somit keine Wahlempfehlung dar, sondern eine Entscheidungshilfe. Nicht zu vergessen ist dabei auch, dass der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) als Antragsgegnerin ein auf der Rechtsgrundlage des Art. 65 GG beruhender verfassungsrechtlicher Informationsauftrag zukommt. Zwar habe die BpB im Rahmen ihres Bildungsauftrags das Recht wertende Unterscheidungen zu treffen, jedoch ist das Recht auf Chancengleichheit vor Wahlen besonders zu beachten. Dies lässt sich nicht zuletzt mit der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Parteien begründen, woraus sich auch das Recht der Parteien auf Mitwirkung an der politischen Willensbildung durch Teilnahme an Parlamentswahlen und Bildung funktionsfähiger Verfassungsorgane ableiten lässt. Wird dieses Recht verletzt, kommt den Parteien auch ein durchsetzbarer Anspruch zu, um die Wahrung ihrer zentralen Aufgaben zu gewährleisten.

Gerade in Anbetracht dessen erscheine es aber zweckwidrig und nicht gerechtfertigt, eine Beschränkung auf acht Parteien zuzulassen.

Auch in technischer Hinsicht gelang es der Antragsgegnerin nicht das Gericht mit der Behauptung zu überzeugen, eine Umprogrammierung des Systems sei in der Kürze bis zur Wahl nicht realisierbar.

Zu beachten sei hierzu ferner, dass die Rechtsgüter der politischen Willensbildung und der Wahlchancengleichheit stets Vorrang gegenüber Wirtschaftlichkeitserwägungen haben.

Fazit und Folgen

Mit dieser Entscheidung änderte das VG Köln seine Rechtsprechung, wonach es im Voraus der Landtagswahl 2011 in Rheinland-Pfalz die Beschränkung der Auswahlmöglichkeit auf acht Parteien nicht beanstandete (VG Köln, Beschl. v. 18.03.2011 – 6 L 372/11). An der Auffassung, dass es den Nutzern freistehe auch kleinere Parteien in die Vorauswahl einzubeziehen, hält das Gericht insbesondere mit der Begründung nicht mehr fest, dass es dem Ziel – infolge einer Auseinandersetzung mit den Parteiinhalten eine bewusste Wahlentscheidung zu treffen – zuwiderlaufe, den Nutzer eine Beschränkung auf höchstens acht Parteien vornehmen zu lassen, bevor er überhaupt die Übereinstimmungsquoten seiner Antworten mit denen der Parteien kennt.

Nachdem sich die Beteiligten außergerichtlich geeinigt hatten, ging der Wahl-O-Mat mit Zustimmung der Antragstellerin kurz vor der Europawahl wieder online. Bei künftigen Wahlen soll dieser aber technisch umgestaltet werden, so dass ein Vergleich der eigenen politischen Positionen mit allen zur Wahl stehenden Parteien mittels eines Klicks möglich und damit Chancengleichheit gegeben sein wird .

Quellen

VG Köln, Beschluss vom 20.05.2019 – 6 L 1056/19 – juris

 

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