Wer an Kunst denkt, denkt zunächst wohl an Gemälde von Monet oder Chagall, Skulpturen von Michelangelo, an die Akropolis, die organische Architektur von Frank Lloyd Wright, an Bauhaus-Klassiker wie den Barcelona Chair von Mies van der Rohe und vielleicht auch an Happenings und Yoko Ono. Dass Kunst ganz maßgeblich von den Umständen, unter denen sie entsteht, sowie von denjenigen, die sie schaffen, geprägt wird, liegt in der Natur der Sache – der Weg von einer gesellschaftlichen Randerscheinung in den Mainstream ist oft bemerkenswert. Prominentes Beispiel ist etwa der Street-Art-Künstler Banksy, der mit seinen Werken – ursprünglich verbotenerweise auf fremde Hauswände gesprüht – inzwischen auch Höchstpreise bei Versteigerungen namhafter Auktionshäuser erzielt.[1]
Doch digitale Kunst ist neues Terrain. Bits und Bytes auszustellen oder gar zu ersteigern ist ein Phänomen, an das sich die Kunstwelt langsam herantasten muss.
Kann Kunst digital sein?
Es gibt zunehmend erfolgreiche Beispiele für digitale Kunstwerke: Marina Abramović, bekannt für avantgardistische Inszenierungen, bei denen sie ihre physischen und mentalen Grenzen ausreizt und ihr Publikum in die Darbietung einbezieht, startete im Februar 2019 in London eine neue Mixed-Reality-Ausstellung mit dem Titel „The Life“.[2] Mit Virtual-Reality-Brillen ausgestattet werden die Teilnehmenden von Assistenten in Laborkitteln „in Position gebracht“, um das 19-minütige Spektakel zu erleben, eine virtuelle Marina Abramović, die sich durch den Raum bewegt und in eine Wolke blauer Pixel auflöst. Technisch wurde „The Life“ als volumetrische Videoproduktion in Zusammenarbeit mit dem Studio Tin Drum realisiert.[3] Dahinter steht die Frage, ob die Präsenz und Ausstrahlung der Künstlerin auch in ihrer Abwesenheit vermittelt werden kann; das Werk spielt mit dem Konzept der Unsterblichkeit. Die Rezeption war gemischt: Manche Kritiker fühlten sich durch das virtuelle Abbild lediglich an ein „raffiniertes Computerspiel“[4] erinnert oder bezeichneten es gar eine fade, nutzlose Pervertierung[5]. Das digitale Selbstportrait wurde im Oktober 2020 bei Christie’s versteigert, als erstes Mixed-Reality-Kunstwerk überhaupt.[6] Der Erlös lag mit 287.500 Pfund weit unter dem Schätzpreis von 400.000-800.000 Pfund.[7] Das Los, eines von drei Editionen (neben dem Artist’s Proof), besteht aus einer Präsentationsbox und der Installation, die der Höchstbietende mittels der zwei dazu verfügbaren Microsoft HoloLens 2 Headsets auch in den eigenen vier Wänden erleben kann.[8]
NFT: Tweet zu verkaufen
Neben Virtual Reality spielen auch NFT zunehmend eine Rolle. Non Fungible Tokens sind nicht austauschbare digitale Schlüssel, die den Besitzer zu bestimmten Transaktionen berechtigen oder als Echtheits- oder Eigentumszertifikat dienen.[9] Digitale Dateien wie Bilder, Videos oder Audioaufnahmen, die an sich unbegrenzt vervielfältigt werden können, werden durch den NFT zum Original. Dahinter steckt die Blockchain-Technologie, also „fälschungssichere, verteilte Datenstrukturen, in denen Transaktionen in der Zeitfolge protokolliert, nachvollziehbar, unveränderlich und ohne zentrale Instanz abgebildet sind“.[10] Vor kurzem wurde bei Christie’s eine digitale Collage des US-Künstlers Beeple für 69 Millionen Dollar versteigert.[11] Auch diese lässt sich an sich einfach online ansehen und herunterladen, doch die „Originalkopie“ gehört nur dem Erwerber des NFT.[12] Eine weitere spektakuläre Geschichte ist die des ersten Tweets der Welt. Twitter-Mitgründer und CEO Jack Dorsey hatte damals mitgeteilt: „just setting up my twttr“.[13] Die digitale Kopie war für rund 2,45 Millionen Euro zu haben. Der glückliche Höchstbietende erhält jedoch, wie bei den anderen NFT-Kunstwerken auch, lediglich eine Art elektronisches Echtheitszertifikat: einen Eintrag auf der Ethereum-Blockchain. Vergleichsweise mickrige sieben Ether (derzeit rund 10.000 Euro) brachte das Bild eines Lochs, das der Künstler Sean Williams versehentlich in seine Wand getreten hatte.[14] Der erste Platz für die wohl kurioseste Kryptokunst abseits der erwähnten Millionenerlöse geht jedoch an eine virtuelle Collage aufgezeichneter Flatulenzen, das dahinterstehende „Künstlerkollektiv“ verlangt 85 Dollar für solch ein Unikat.[15]
Dass die Grenze zur Kriminalität fließend verläuft, zeigt eine Auktion von Anfang März, bei der der IT-Sicherheitsexperte Matthew Hickey mit der zweifelhaften Formulierung „highly collectible hacker artwork“ die „Zero-Day Collection“ anbot – einen Schadcode, mit dem das Ausnutzen einer öffentlich noch nicht bekannten Sicherheitslücke möglich gewesen sein soll.[16] Die NFT-Handelsplattform OpenSea stoppte die Auktion unmittelbar nach dem Upload des Angebots. Hickey betonte, mit seiner Aktion lediglich demonstrieren zu wollen, dass sich NFTs für den Verkauf digitaler Werte gut eignet: Wird das Token weiterverkauft oder -verbreitet, erhält der ursprüngliche Ersteller eine Kommission. Dass auch Exploits und Schadcode auf diese Weise zu Geld gemacht werden sollen, stößt – verständlicherweise – auf scharfe Kritik. Der Fall zeigt dennoch, dass das zugrundeliegende Konzept voraussichtlich nicht aufzuhalten sein wird.
Demoszene wird Immaterielles Kulturerbe
Als erste digitale Kulturform wurde kürzlich die Demoszene als Immaterielles Kulturerbe in das bundesweite Verzeichnis der UNESCO aufgenommen.[17] Als Immaterielles Kulturerbe wird der Schutz, die Dokumentation und der Erhalt von lebendigen Traditionen wie dem Uhrmacherhandwerk, dem Reggae oder der traditionellen Karpfenteichwirtschaft in Bayern unterstützt.[18] Die Demoszene beschreibt sich selbst als „weltweites nicht-kommerzielles Netzwerk von kreativen Köpfen, die sich mit der Erschaffung von Demos beschäftigen“.[19] Demos sind durch Software generierte Animationssequenzen, die verschiedene audiovisuelle Elemente wie Musik, Videos, Text-, Pixel- und 3D-Grafiken kombinieren.[20]
Ihren Ursprung fand die Subkultur beim Cracken von PC-Spielen.[21] Nach erfolgreichem Entfernen des Kopierschutzes wurden die Pseudonyme der Cracker und selbst programmierte Effekte vor den Startbildschirm gesetzt. Im Laufe der Zeit nahm die künstlerische Gestaltung des Intros eine immer wichtigere Rolle ein, bis sich schließlich die Demos von den gecrackten Spielen abkoppelten, per DemoDisks verbreitet wurden und die ersten Demo-Partys veranstaltet wurden. Diese Treffen sind ein zentraler Aspekt der Szene: in verschiedenen Wettbewerbskategorien konkurrieren Programme, die in Echtzeit ausgeführt werden und sich – je nach Kategorie – beispielsweise auf eine bestimmte Größe beschränken oder auf einem Commodore 64 laufen müssen. [22]
Fazit
Die Blockchain-Technologie hat tatsächlich enormes Potenzial mit Blick auf die Möglichkeit eines dezentralen Provenienznachweises, auch für klassische Kunstwerke.[23] NFTs konstruieren Knappheit und „Originale“ in einer digitalen Welt, in der mehr oder weniger alles kopiert, heruntergeladen, verfälscht und vervielfältigt werden kann. Demgegenüber steht unter anderem der hohe Energieverbrauch, der mit Blockchain einhergeht.[24]
Dass digitale Kunst die „analogen“ Werke ersetzt, ist wohl ausgeschlossen. Doch als Spiegel und Kommentar der technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen kann sie eine faszinierende Ergänzung für bekannte Kunstformen darstellen. Schließlich gibt es keinen Grund, weshalb digitaler Kunst, die nicht weniger Kreativität und handwerkliches Geschick erfordert und ebenso bedeutungsvoll oder -frei sein kann wie andere Techniken, ihr Platz in der Kulturwelt abgesprochen werden sollte.
[1] Beispielsweise erst kürzlich 16,8 Millionen Pfund, die an die britische Gesundheitsbehörde gehen sollen, vgl. Schreiber, Banksys Corona-Gemälde erzielt einen Rekordpreis, Handelsblatt Online, 23.03.2021; Bemerkenswert ist auch das für 1,04 Millionen Pfund versteigerte Kunstwerk „Girl with Balloon“, das nach dem Zuschlag begann, sich selbst zu zerstören und so Kunstgeschichte schrieb, vgl. Bieterin will geschreddertes Banksy-Werk behalten, Spiegel Online, 12.10.2018 – der Wert des Werks soll sich dadurch laut Experten verdoppelt haben, vgl. Schaper, Zerschnittenes Banksy-Bild ist jetzt das Doppelte wert, Tagesspiegel Online, 07.10.2018.
[2] Vgl. Marina Abramović’s The Life – the world’s first Mixed Reality performance Artwork, Christies.com, 15.09.2020, dort auch zum Folgenden.
[3] Vgl. Rea, The Artist Is Not Present: How Marina Abramović Used Mixed Reality to Create a Hyper-realistic Virtual Performance, Artnet.com, 18.02.2019.
[4] Armbrüster, Marina Abramović und ihr Spiel mit dem Publikum, Deutschlandfunk Kultur, 18.02.2019.
[5] Jones, Marina Abramović: The Life review, TheGuardian.com, 19.02.2019.
[6] Vgl. Live Auction 18942: Post-War and Contemporary Art Evening Sale, Lot 104, Christies.com.
[7] Vgl. Freeman, Christie’s Spree of Livestreamed Art Sales in London and Paris Nets a Limp §118 Million as the Market Gets the Jitters, Artnet.com, 22.10.2020; Pressemitteilung vom 15.09.2020, Christies.com.
[8] Vgl. Live Auction 18942: Post-War and Contemporary Art Evening Sale, Lot 104, Christies.com.
[9] Vgl. von der Hagen/Hurtz, Die Welt im NFT-Fieber, SZ.de, 24.03.2021, dort auch zum Folgenden.
[10] Blockchain-Technologie, BaFin.de, Stand 19.06.2017.
[11] Vgl. von der Hagen/Hurtz, Die Welt im NFT-Fieber, SZ.de, 24.03.2021, dort auch zum Folgenden.
[12] Vgl. Mehr als 69 Millionen Dollar für Beeples Kryptokunst, Spiegel Online, 11.03.2021.
[13] Vgl. Korge, Erster Tweet der Welt bringt bei Auktion fast drei Millionen Dollar, Spiegel Online, 24.03.2021, dort auch zum Folgenden.
[14] Vgl. Loopify, A picture of a hole in a wall sold for $7,000+ as an NFT!, Loop News, 04.01.2021.
[15] Vgl. Beuth, Ein Furz auf der Blockchain bringt 75 Euro, Spiegel Online, 19.03.2021.
[16] Vgl. Powers, A Hacker Was Selling a Cybersecurity Exploit as an NFT. Then OpenSea Stepped In, Coindesk.Com, 10.03.2021, dort auch zum Folgenden.
[17] Vgl. Först, Demoszene wird Immaterielles Kulturerbe, Netzpolitik.org, 24.03.2021.
[18] Vgl. die Pressemitteilung der Kultusministerkonferenz vom 19.03.2021.
[19] Die Demoszene, Demoscene.org.
[20] Vgl. Demoszene – Kultur der digitalen Echtzeit-Animationen, UNESCO.de, dort auch zum Folgenden; vgl. auch Digitale Kultur e.V., Die Demoszene (PDF).
[21] Vgl. Först, Demoszene wird Immaterielles Kulturerbe, Netzpolitik.org, 24.03.2021 (m.w.N.), dort auch zum Folgenden.
[22] Vgl. Demoszene – Kultur der digitalen Echtzeit-Animationen, UNESCO.de.
[23] Vgl. etwa Jakobs, Wie die Blockchain Kunstfälschungen verhindern hilft, Handelsblatt Online, 28.02.2019; dennoch sind zahlreiche rechtliche Fragen noch offen, vgl. für einen Überblick Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Blockchain sicher gestalten, März 2019, S. 57 ff.
[24] Vgl. Bocksch, Bitcoin verbraucht mehr Strom als die Niederlande, Statista.de, 19.02.2021.
Sämtliche Links wurden zuletzt am 25.03.2021 abgerufen.