Mit dem Abschied von Angela Merkel verspricht die diesjährige Bundestagswahl eine wegweisende Weichenstellung für die kommenden Jahre und Jahrzehnte. Das gilt natürlich nicht nur für digitalpolitische, sondern auch für eine Vielzahl weiterer Fragen. Nach den versprochenen, aber verschleppten Fortschritten in Sachen Digitalisierung messen viele – besonders jüngere – Wählerinnen und Wähler diesem Thema dennoch eine hohe Priorität zu.
Wo liegt der Fokus?
Doch welche Herausforderungen, Ziele und Maßnahmen priorisieren die Parteien? Wie eine Übersicht von Netzpolitik.org zeigt, haben sich alle demokratischen Parteien mit dieser Thematik beschäftigt, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.[1] Die Union betrachtet Digitalisierung als wirtschaftspolitisches Projekt und stellt – noch – mehr Befugnisse für Ermittlungsbehörden in Aussicht, während von Seiten der SPD Hoffnungen geäußert werden, endlich Projekte und Ideen verwirklichen zu können, die in den vergangenen Jahren liegengeblieben oder blockiert worden waren. Im Wahlprogramm der Linken finden sich die im Vergleich dünnste digitalpolitische Agenda; fokussiert wird hier der Abbau von Befugnissen für Polizei und Geheimdienste und die Entmachtung großer Digitalkonzerne. Das digitalpolitische Programm der Grünen lässt umfassende Recherchen in verschiedenen Aspekten und einen starken europäischen Bezug erkennen. Die FDP, die das Thema Digitalisierung bereits seit längerer Zeit gezielt in ihrer Agenda führt, setzt auf eine enge Kooperation mit der Wirtschaft, um Digitalisierungsziele zu erreichen.
Digitale Souveränität – auch in der Verwaltung
Einigkeit besteht zumindest mit Blick auf die Verwaltungsdigitalisierung, wenn auch mit unterschiedlichen Ansätzen in Bezug auf das „Wie“. Ein wichtiger Ansatz ist hierbei die digitale Souveränität: Mit eigenen Entwicklungen soll die Unabhängigkeit von geschlossenen Systemen gefördert werden, während so zugleich europäische Werte stärker Berücksichtigung finden können.[2] Ein ausgewogenes Setzen eigener Standards ohne technologischen Protektionismus befürworten sowohl SPD und Union als auch die Grünen. Dabei wird häufig das Konzept Open Source Software (OSS) als Mittel der Wahl herausgestellt. Die Verwaltung soll daher stärker verpflichtet werden, offene und transparente – d.h. überprüfbare – Softwarelösungen einzusetzen und entsprechende Vergaberegelungen sowie Regelungen zur staatlichen Förderung von OSS an dieses Ziel angepasst werden.
Mut zu mehr digitaler Kompetenz
Im Rahmen des 109. Netzpolitischen Abends, der von der Digitalen Gesellschaft zusammen mit Selbstbestimmt.Digital am 7. September 2021 ausgerichtet wurde, konnten die geladenen Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen Parteien ihre Positionen noch einmal konkretisieren.[3] Besonders in der ersten Hälfte der Debatte nahm das Thema digitale Bildung viel Raum ein. Sowohl Thomas Heilmann (CDU) als auch Manuel Höferlin (FDP) sowie Anke Domscheit-Berg (Die Linke) und Saskia Esken (SPD) nannten digitale Kompetenz als wichtigste Stellschraube für (digitale) Gerechtigkeit und Teilhabe in den nächsten vier Jahren. In Bezug auf den Breitbandausbau und den Sinn (oder Unsinn) eines designierten Digitalministeriums wurden mitunter recht unterschiedliche Ansichten geäußert. Ein gemeinsamer Kern ist die Kritik an einem isolierten Ministerium – die Digitalisierung sei gerade in sämtlichen Ressorts eine maßgebliche Herausforderung – sowie an beachtlichen Beharrungskräften, die oft aus mangelndem Verständnis und fehlender Koordination resultieren. Laut Heilmann gebe es „kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem“, weswegen er nicht allein ein neues Ministerium, sondern einen Katalysator für digitale Transformation und kürzere Projektlaufzeiten, die sich an den Legislaturperioden orientieren sollen, befürwortete.
Fazit
Die Diskussionsrunde brachte erwartungsgemäß keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse hervor – doch das war auch nicht ihr Ziel. Mit Blick auf die schwankenden Umfragewerte wird es sicherlich eine spannende Wahl; In Sachen Digitalisierung ist zumindest zu erwarten, dass viele Ziele von möglichen Koalitionspartnern geteilt werden. Gegenstand der Verhandlungen wird vielmehr sein, welcher Weg zu diesen Zielen führen soll und welche Maßnahmen zu planen und umzusetzen sind. Es bleibt zu hoffen, dass die guten Vorsätze in der kommenden Legislaturperiode zielstrebig, konsequent und zügig eingehalten werden – unabhängig von der konkreten Zusammensetzung der neuen Bundesregierung.
[1] Vgl. Rudl e.al., Bundestagswahl 2021: Der netzpolitische Wahlprogrammvergleich, Netzpolitik.org, 15.09.2021, dort auch zum Folgenden.
[2] Vgl. Ehneß, Bundestagswahl 2021: Was die einzelnen Parteien digitalpolitisch planen, eGovernment Computing, 15.09.2021, dort auch zum Folgenden.
[3] Siehe 109. Netzpolitischer Abend – Diskussion zur Bundestagswahl 2021, Digitale Gesellschaft, dort auch zum Folgenden.
Sämtliche Links wurden zuletzt am 22.09.2021 abgerufen.