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VG Köln: „StreamOn“ verstößt gegen „Netzneutralität“

Das Angebot „StreamOn“ der Telekom verstößt gegen den europarechtlich vorgegebenen Grundsatz der „Netzneutralität“ sowie gegen Roaming-Regelungen. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Köln mit Beschluss vom 20.11.2018 (Az.: 1 L 253/18) entschieden und daher einen Antrag der Telekom AG auf Eilrechtsschutz gegen einen Bescheid der Bundesnetzagentur abgelehnt.

Sachverhalt und Hintergrundwissen

Die Bundesnetzagentur hatte der Telekom am 15.12.2017 das Angebot von Teilaspekten der kostenlosen Zubuchoption „StreamOn“ gem. § 126 Abs. 1 TKG untersagt. Begründet wurde dies damit, dass „StreamOn“ gegen das seit 15.06.2017 geltende und in Artikel 6a der sogenannten Roaming-Verordnung (VO (EU) 531/2012) verankerten Roam-Like-At-Home-Prinzip (RLAH) verstoße und außerdem nicht mit der sog. „Netzneutralität“ vereinbar sei. RLAH bedeutet, dass auch im EU-Ausland die Konditionen des inländischen Tarifs gelten und insofern keine zusätzlichen Gebühren anfallen. „Netzneutralität“ definiert die Bundesnetzagentur hingegen als Gleichbehandlung des gesamten Datenverkehrs im Netz unabhängig von Inhalt, Anwendung, Dienst, Versender oder Empfänger. RLAH und die Netzneutralität seien bei „StreamOn“ nicht gewährleistet, denn dabei handelt es sich um ein sog. „Zero Rating-Angebot“, d.h. bestimmte Dienste von „Content-Partnern“ der Telekom werden nicht auf das (meist) monatlich zur Verfügung stehende Datenvolumen angerechnet. Dies gilt jedoch nur innerhalb Deutschlands. Außerdem willigt der Nutzer ein, dass die Bandbreite für Streamingdienste reduziert wird.  Weil Widersprüchen oder Klagen gegen Entscheidungen der Bundesnetzagentur gem. §§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO137 Abs. 1 TKG keine aufschiebende Wirkung zukommt und der Bescheid daher trotz Einlegung eines Rechtsbehelfs eigentlich sofort beachtet werden muss, begehrte die Telekom vorläufigen Rechtsschutz (hier nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO). Bei den folgenden Ausführungen zum Beschluss des VG sollte ggf. beachtet werden, dass die Gerichte im Rechtsschutzverfahren i.d.R. nur eine summarische Prüfung durchführen. Der Erfolg des Rechtsschutzes hängt jedoch maßgeblich von den Erfolgsaussichten der Hauptsache ab. Das VG Köln hätte der Telekom also i.d.R. dann Rechtsschutz gewährt, wenn es zu dem Entschluss gekommen wäre, dass der Bescheid der Bundesnetzagentur rechtswidrig ist.

Die Entscheidung des VG Köln

Das VG stellt zunächst fest, dass die Bundesnetzagentur gem. § 126 Abs. 1 TKG unter anderem dann Abhilfe von einem Unternehmen fordern darf, wenn dieses die VO (EU) 531/2012 oder die VO (EU) 2015/2120 verletzt. Kommt das Unternehmen dieser Aufforderung binnen einer gesetzten Frist nicht nach, darf die Bundesnetzagentur die zur Einhaltung der Verpflichtung erforderlichen Maßnahmen treffen (§ 126 Abs. 2 S. 1 TKG).

Verstoß gegen die VO (EU) 2015/2120

Weiter führt das VG aus, dass aufgrund der vereinbarten Bandbreitenreduzierung auf 1,7 Mbit/s „zunächst Überwiegendes“ für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 der VO (EU) 2015/2120 spräche. Nach Art 3 Abs. 3 der Verordnung müssen Anbieter von Internetzugangsdiensten „den gesamten Verkehr bei der Erbringung von Internetzugangsdiensten […] ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten“ gleichbehandeln. Von diesem Grundsatz kann aus Sicht des VG auch nicht durch vertragliche Vereinbarung abgewichen werden, denn Art. 3 Abs. 3 VO (EU) 2015/2120 finde auch bei Verträgen Anwendung. Der Art. 3 Abs. 3 VO (EU) 2015/2120 gelte schon seinem Wortlaut nach für „den gesamten Verkehr bei der Erbringung von Internetzugangsdiensten“. Hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnen wollen, durch vertragliche Vereinbarung von diesem Gleichbehandlungsgrundsatz abzuweichen, hätte er dies nach Ansicht des Gerichts aber kenntlich gemacht, da eine solche Möglichkeit „vorhersehbar zu einem weitgehenden Leerlaufen der Vorschrift führ[t]“, weil die Erbringung von Internetzugangsdiensten fast immer auf vertraglicher Grundlage erfolge. Diese Auslegung werde auch durch Erwägungsgrund 3 der Verordnung gestützt, weil sich daraus ergebe, dass der Verordnungsgeber Endnutzer vor einer Verkehrsmanagementpraxis schützen wollte, die Dienste verlangsamt oder blockiert

Auch sei eine solche Auslegung nicht deshalb widersprüchlich, weil Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2015/2120 vertragliche Vereinbarungen zwischen Endnutzern und Internetanbietern über Datenvolumina und Geschwindigkeit gestatte, denn hier folge die Beschränkung des Datenverkehrs beim Endkunden nicht, wie von Art. 3 Abs. 3 VO (EU) 2015/2120 verboten, aufgrund der Person des Senders oder Empfängers, sondern lediglich aufgrund der Vereinbarung. Dies ist möglicherweise so zu verstehen, dass das Gericht zwar eine „Rahmenvereinbarung“ für alle enthaltenen Dienste hinsichtlich Preis, Datenvolumen und Geschwindigkeit als mit der Richtlinie für vereinbar erachtet, nicht aber eine vertragliche Vereinbarung, aufgrund derer die Geschwindigkeit einzelner Dienste (bei „StreamOn“ also z.B Videostreamingdienste) reduziert wird (vgl. Rn. 38 des Beschlusses). Dies liegt auch in der Natur der meisten Telekommunikationsverträge, ansonsten wäre automatisch jeder Vertrag ein Flatrate Vertrag ohne Volumen- und Geschwindigkeitsbegrenzung.

Ein solcher Widerspruch ergibt sich nach Ansicht des VG Köln auch nicht aus Art. 4 Abs. 1 der Verordnung. Zwar deute der Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 a) der Verordnung an, dass die Verordnungsgeber davon ausgingen, dass nach Art. 3 Abs. 3 VO (EU) 2015/2120 zulässige Maßnahmen auf dem gesamten Internetzugangsdienst angewendet werden, daraus lasse sich jedoch nicht, wie wohl vom Antragsteller behauptet, ableiten, dass nur in bestimmten Verträgen vereinbarte Maßnahmen keine Verkehrsmanagementmaßnahmen i.S.d. Art. 3 Abs. 3 der Verordnung darstellten.

Aus diesem Grund bejaht das VG Köln einen Verstoß gegen die „Netzneutralität“.

Verstoß gegen die VO (EU) 531/2012

Die Anrechnung der „StreamOn“-Partnerdienste auf das Datenvolumen des Endnutzers bei Nutzung im Ausland verstößt nach Rechtsansicht des VG wahrscheinlich auch gegen Art. 6a i.V.m. Art. 2 Abs. 2 r) der VO (EU) 531/2012 (Rn. 73 des Beschlusses). Nach Art. 6a VO (EU) 531/2012 dürfen Roaminganbieter -von einigen Ausnahmen abgesehen- „im Vergleich mit dem inländischen Endkundenpreis in einem Mitgliedsstaat weder zusätzliche Entgelte noch allgemeine Entgelte für die Nutzung von Endgeräten oder von Dienstleistungen im Ausland berechnen“. Der Begriff des „inländischen Endkundenpreises“ ist in Art. 2 Abs. 2 r) VO (EU) 531/2012 legal definiert als das inländische Endkundenentgelt pro Einheit, das der Roaminganbieter für Anrufe und versendete SMS-Nachrichten […] und für die von einem Kunden genutzten Daten berechnet.

Das Gericht stellt zunächst fest, dass die Inhalte von „Content-Partnern“ auf das Datenvolumen eines sich im Ausland befindenden Roamingkunden angerechnet werden, auf das Datenvolumen eines Roamingkunden im Inland aber nicht. So erhalte der Roamingkunde im Ausland zwar weniger Leistung, müsse aber dasselbe Entgelt bezahlen. Diese indirekte Preiserhöhung ist nach Ansicht des VG als „zusätzliches Entgelt“ i. S.d. Art. 6a VO (EU) 531/2012 zu bewerten.

Für diese Auslegung zieht das Gericht den sog. „effet utile“ heran, wonach eine Rechtsnorm des Europarechts so auszulegen ist, dass sie ihre maximale Wirksamkeit entfaltet. Es stellt anschließend fest, dass es Möglichkeiten gebe, Art. 6a VO (EU) 531/2012 zu umgehen, wenn indirekte Preiserhöhungen nicht von der Norm erfasst seien.

Übrige Voraussetzungen des § 126 Abs. 2 TKG

Auch die übrigen Voraussetzungen des § 126 Abs. 2 TKG liegen nach Ansicht des VG vor.

Ergebnis des Verwaltungsgerichts Köln

Da das Gericht keinen Grund für die Rechtswidrigkeit des von der Bundesnetzagentur ausgestellten Bescheids erkennen konnte, weil nach summarischer Prüfung insbesondere alle Voraussetzungen des § 126 Abs. 2 TKG vorlagen, hat es den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz als unbegründet abgewiesen.

Fazit und Ausblick 

Der Beschluss des VG Köln ist an manchen Stellen „schwere Kost“, da Prinzipien wie RLAH und die „Netzneutralität“ eher abstrakt anmuten und die Auslegung europäischer Normen oft mehr Schwierigkeiten bereitet als die Auslegung nationalen Rechts. Am dargestellten Einzelfall lässt sich jedoch beides gut nachvollziehen.

Die Telekom hat angekündigt, dass sie „StreamOn“ trotz ihrer Niederlage vorm VG Köln weiter anbieten will und alle rechtlichen Möglichkeiten ausnutzen werde. Die Bundesnetzagentur soll ihrerseits der Telekom eine Strafe i.H.v. 200.000 € angedroht haben.

 

Quellen:

Siehe zum Punkt Sachverhalt und Hintergrundwissen:

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/vg-koeln-1l25318-telekom-angebot-streamon-verstoss-netzneutralitaet-roaming/

https://www.golem.de/news/streit-mit-bundesnetzagentur-telekom-klagt-gegen-auflagen-fuer-stream-on-1712-131699.html

https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/15122017_StreamOn.html?nn=265778

https://www.telekom.com/de/blog/konzern/artikel/streamon-wir-kaempfen-fuer-unsere-kunden-510862

https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/Telekommunikation/Verbraucher/WeitereThemen/Netzneutralitaet/Netzneutralitaet-node.html

VO (EU) 2015/2120 abrufbar unter:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R2120&from=DE

VO (EU) 531/2012 abrufbar unter:

https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2Fges%2FEWG_VO_531_2012%2Fcont%2FEWG_VO_531_2012%2Ehtm

Siehe zum Ausblick:

https://www.teltarif.de/telekom-streamon-stellungnahme/news/74761.html

https://www.billiger-telefonieren.de/handy/nachrichten/telekom-will-an-streamon-festhalten_213910.html

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/streaming-dienste-telekom-droht-200-000-euro-strafe-wegen-stream-on-tarifen-/23688246.html?ticket=ST-1120873-x0kNhfwgTnrNpnQqtvcC-ap6

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