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Internetdienste: Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG muss neu gedacht werden

Das Grundgesetz feierte jüngst seinen 70. Geburtstag, vor 31 Jahren trat das World Wide Web wie wir es heute kennen in Erscheinung, Google wurde erst 1998 gegründet, 5 Jahre später folgte Facebook. Die Medienlandschaft auf digitalen Plattformen entfaltete sich in dieser Zeit – und tut dies immer noch – exponentiell. Dennoch heißt es in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wie vor 70 Jahren: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ Die Gewährleistung eines freien Internets o.Ä. wird nicht postuliert. Ob und vor allem wie das Internet in die Dogmatik des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG passt, soll im folgenden Überblick erläutert werden.

 

I. Internet und Meinungsfreiheit

Zuerst ist festzuhalten, dass jedermann – sei es in der Zeitung, sei es auf der Arbeit, sei es auf der Straße oder eben auch im Internet – das Recht darauf hat, seine Meinung, mithin jedes Werturteil[1], zu äußern. Somit ist für den Nutzer jedwede Distributionsform im Kontext der öffentlichen Kommunikation, sofern sie natürlich meinungsrelevant ist, von der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Auch Inhalteanbieter im Internet wie Facebook oder Google können sich im Einzelfall auf den Schutz von Art. 5 I 1 GG berufen. Die Bereitstellung eigener Inhalte mit Wertungscharakter ist nicht anders zu behandeln als eine Meinungsäußerung des Nutzers. Auch hier wird ein Werturteil kommuniziert. Art. 19 Abs. 3 GG nimmt insofern juristische Personen als Grundrechtsträger auf, wenn die Meinungsfreiheit ihrem Wesen nach auf sie anwendbar ist, was bei den Kommunikatoren im Internet der Fall ist.[2] Falls der Anbieter fremde Inhalte zur Verfügung stellt, muss danach differenziert werden, ob schon das Zur-Verfügung-Stellen des Inhalts meinungsrelevanten Charakter hat. Das ist auch dann der Fall, wenn der Anbieter die Information gänzlich werteneutral bereitstellt, diese aber potenziell für den Nutzer von meinungsbildender Relevanz sind.[3] Grundsätzlich schützt die Meinungsfreiheit auf personeller Ebene also bereits große Teile der Kommunikation im Internet.

 

II. Internet und Presse

Deutlich problematischer ist der Schutz des Internets auf institutioneller Ebene. Die Pressefreiheit schützt herkömmlich nur (hergeleitet von dem lateinischen Begriff pressa) ein bestimmtes Druckerzeugnis, das zur Verbreitung an einen unbestimmten Personenkreis geeignet ist.[4] Demzufolge kann also ein digitaler Inhalt nie Presseerzeugnis sein. Deshalb wollen einige Stimmen in der Literatur das verfassungsrechtliche Presseverständnis reformieren. Prominente Ansätze sind das Abstellen auf die Rezeptionsmöglichkeit[5] und das Aufnehmen von digitalen Texteinhalten, die denen eines Presseerzeugnisses ähnlich sind[6]. Dies wird auf die Medienkonvergenz gestützt. Inhalte, die vorher durch die Pressefreiheit geschützt waren, werden heutzutage oft in identischer Form digitalisiert und fallen allein deswegen aus dem Schutzbereich der Pressefreiheit heraus. Ein Abstellen auf die Verkörperung des Inhalts kann nicht mehr zeitgerecht sein. Eine solche Betrachtungsweise läuft allerdings Gefahr, den Pressebegriff mit Blick auf die Rundfunkfreiheit zu überdehnen. Besonders, wenn im Internet, was sehr häufig der Fall ist, Text- und Videoinhalte kombiniert werden, stellt die präzise Abgrenzung der neu gedachten Pressefreiheit eine nahezu unlösbare Aufgabe dar.[7] Die Druckpresse hat weiterhin einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft, weshalb eine oft befürchtete Obsoleszenz der Pressefreiheit[8] in naher Zukunft nicht zu erwarten ist und man an der Trennschärfe der Verkörperung festhalten kann. Das Internet als nicht-verkörpertes Medium kann folglich keine Presse sein. Ausnahmsweise kann man den Schutzbereich der Pressefreiheit als eröffnet ansehen, wenn Internetdienste eine bloße Hilfstätigkeit bezüglich analoger Presseerzeugnisse ausführen.[9] Dabei sind aber die strengen Voraussetzungen einer Erweiterung der Presse-Grosso-Entscheidung[10] zu berücksichtigen, die sich nur auf pressebezogene Hilfstätigkeiten beschränken. Mithin ist das Vorliegen eines tatsächlichen Presseerzeugnisses im oben genannten Sinne unerlässliche Voraussetzung für die Eröffnung der Pressefreiheit. Es kann nur die konkrete Verbreitung von E-Books und E-Zeitungen geschützt sein. Im Übrigen entfällt der Schutzbereich.

 

III. Internet und Rundfunk

Würde man dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG streng folgen, so bleibt eine institutionelle Schutzmöglichkeit des Internets nur noch der Rundfunk übrig (eine Klassifizierung als Film wäre abwegig). Rundfunk i.S.d Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist jede an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtete drahtlose oder drahtgebundene Übermittlung von Gedankeninhalten mit Hilfe elektrischer Schwingungen.[11] Massenmedien sind also nach dieser traditionellen Auffassung in Abgrenzung zur Pressefreiheit alle elektronischen Verbreitungsformen.[12] Stellt man, wie hier vertreten, bei der Abgrenzung auf die Distributionsform ab, so käme es zu einer Überdehnung des Rundfunkbegriffs.[13] Der Pressebegriff würde in seiner massenmedialen Form im Verhältnis zum Rundfunkbegriff disproportional zurückgedrängt und Grenzfälle der Abgrenzung, wie zum Beispiel bei den oben genannten Hilfstätigkeiten, können mit diesem herkömmlichen Verständnis nicht gelöst werden. Vergleicht man den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff mit dem einfachgesetzlichen Rundfunkbegriff des RStV (und durch die AVMD-RL somit auch dem europarechtlichen Rundfunkbegriff), der Rundfunk von Internet-Telemedien anhand der Linearität abgrenzt, so kann man eine erhebliche Divergenz feststellen.[14] Die Zuordnung aller meinungsrelevanten[15] Internetinhalte, wie sie nach bisherigem Verfassungsverständnis vorzunehmen ist, kann also nicht mehr zeitgemäß sein.

 

IV. Verschiedene Lösungsansätze und deren Bewertung

Es ist klar: Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfordert ein Neudenken bezüglich des Internets. Die Frage ist nur wie. Es bieten sich drei verschiedene Lösungsansätze an. Man könnte neben die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit eine vierte massenmediale Freiheit in Ausprägung einer Internet- oder Internetdienstefreiheit[16] entwickeln. Man könnte auch den gesamten Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu einer einheitlichen Medienfreiheit[17] zusammenführen oder sogar den Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG mit einbeziehen, um eine allgemeine Kommunikationsfreiheit[18] zu schaffen. Kritiken, die schon eine Änderung der verfassungsrechtlichen Dogmatik im Ganzen ablehnen, sind zurückzuweisen. Wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das IT-Grundrecht zeigen, ist das Fortbilden des Grundrechtekatalogs durch ungeschriebene Grundrechte kein Neuland.[19] Vielmehr ist es wie oben aufgeführt zwingend erforderlich, die veraltete Dogmatik des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu reformieren.

1) Einheitliche Kommunikationsfreiheit bzw. Medienfreiheit

Vereinzelte Stimmen, die eine allgemeine Kommunikationsfreiheit fordern, begründen dies mit der fortschreitenden Medienkonvergenz.[20] Nur eine einheitliche grundgesetzliche Fassung aller Kommunikationsprozesse kann dem Verschmelzen von alten sowie neuen medialen Kommunikationsformen mit- und untereinander  gerecht werden. Dabei unterscheidet sich die Kommunikationsfreiheit im Wesentlichen von der auch vertretenen Medienfreiheit darin, dass letztere nur Massenmedien zusammenführen will und nur Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als nicht abschließend betrachtet, während erstere sowohl individuelle als auch massenmediale Kommunikation erfassen will.[21] In Zeiten sozialer Netzwerke wird auch die Privatperson zu einem ähnlich (meinungs-)mächtigen Kommunikator wie eine von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfasste Institution. Nunmehr kann jedermann, nicht nur einzelne Massenmedien, Inhalte dergestalt veröffentlichen, dass sie einer breiten Allgemeinheit gegenüber vermittelbar sind. Eine zwischen Individual- und Massenkommunikation differenzierende one-to-many-Kommunikation liegt im digitalen Zeitalter nicht mehr vor, es handelt sich vielmehr um eine many-to-many-Kommunikation mit ausgeprägten Dialog-Möglichkeiten.[22] Eine strikte Trennung von Massen- und Individualkommunikation will die Auffassung beibehalten, die eine einheitliche Medienfreiheit für erforderlich hält.[23] Zwar kann der Einzelne nun im Rahmen einer Massenkommunikation mit Breitenwirkung teilnehmen, jedoch würde die Annahme, dass hier schon eine Individualkommunikation i.S.d Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vorliegt, zu einer Vermischung von personellen und institutionellen Schutzgehalt des Art. 5 Abs. 1 GG führen. Im Internet ist von einer internetspezifischen Massenkommunikation auszugehen und nicht von einer Individualkommunikation. Zudem kann sich die einheitliche Medienfreiheit auf Art. 11 Abs. 2 GrCh und Art. 10 EMRK berufen, die beide auf europarechtlicher Ebene nicht zwischen einzelnen Massenmedien differenzieren. Auch unter historischen Gesichtspunkten ist davon auszugehen, dass der Verfassungsgesetzgeber alle meinungsrelevanten Massenmedien in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG aufnehmen wollte. Die Schutzrichtung aller drei benannten Institute sind insoweit vergleichbar und erfordern grade die Aufnahme andere Massenmedien mit ebenfalls vergleichbarer Schutzbedürftigkeit wie beispielsweise das Internet.[24]

Kritik an beiden Auffassungen ist vor allem das Verschmelzen der einzelnen Medienfreiheiten; ein Internetdienst, muss einer konkreten Freiheit entsprechen, um auch dessen rechtliches Schicksal teilen zu können.[25] Hört man auf, zwischen den einzelnen Institutionen zu unterscheiden, so kann eine notwendige Regulierung hinsichtlich der spezifischen Gefahren des spezifischen Mediums nicht mehr trennscharf implementiert werden. Die einzelnen Medienfreiheiten sind nämlich jeweils als Aliud zueinander zu behandeln und können eben nicht ohne weiteres vereinheitlicht werden.[26] Würde man das Internet per se der Rundfunkfreiheit zuordnen, so würde man dem Internet einer wesentlich intensiveren Regulierung durch den dazugehörigen Ordnungsrahmen unterwerfen.[27] Einerseits spricht gegen diese Kritik, dass eine getrennte Regulierung immer noch mit Hilfe einer abgestuften Regulierung gewährleistet werden kann.[28] Etwas vergleichbares ist bereits in der getrennten Regulierung von Rundfunk im einfachgesetzlichen Sinne (§§ 11 ff. RStV) und Telemedien (§§ 54 ff. RStV) zu beobachten, wo doch beides (nach bisheriger Auffassung) unter die Rundfunkfreiheit fällt, aber aufgrund einer unterschiedlichen Gefahrenlage getrennt voneinander zu regulieren ist. Andererseits würde ein Schließen von dem konkreten Medium auf die Intensität der Regulierung durch den jeweiligen Ordnungsrahmen zwei Aspekte miteinander vermengen, die eigentlich strikt voneinander zu trennen sind.[29] Eine Differenzierung des Schutzgehaltes innerhalb desselben Grundrechts (sei es nun Presse- oder Rundfunkfreiheit) erfolgt auf der Rechtsfolgenseite, weshalb dieser Aspekt keinen Einfluss auf die vorgelagerte Wahl des Schutzbereiches haben kann.[30] Allerdings beruht dieses Argument auf der vielfach vertretenen Auffassung[31], dass der Medienfreiheit entgegen der Sonderdogmatik des Bundesverfassungsgericht[32] keine „dienende“ Funktion mehr zukommt und eine Regulierung auf Ebene der Schranken vorzunehmen ist und nicht schon auf Grund des Ausgestaltungsvorbehalts des Gesetzgebers. Eine Abweichung von dem Verfassungsprinzip der „dienenden Freiheit“ muss allerdings festgehalten werden.[33] Demzufolge ist es grade zulässig, die spezifische Gefahrenlage im Rahmen der Ausgestaltungsgesetze schon bei Ermittlung des verfassungsrechtlichen Schutzbereiches zu ermitteln. Somit kann einem solchen Vermengungsargument keine Bedeutung zukommen.

2) Internetdienstefreiheit

Zuletzt kann man die oben erläuterten Abgrenzungsschwierigkeiten mithilfe einer neuen ungeschriebenen „Internetdienstefreiheit“[34] neben Rundfunk-, Presse- und Filmfreiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG lösen. Sie soll Einordnungsschwierigkeiten beheben, indem sie sich selbst von der Presse als nicht verkörpertes und vom Rundfunk als nicht lineares Medium abgrenzt.[35] Ihr gelingt somit eine verfassungsdogmatisch korrekte Einordnung, die – ebenso wie die Rundfunkfreiheit als dienende Freiheit[36] – eine durch einen Ausgestaltungsvorbehalt des Gesetzgebers passgenaue Regulierung ermöglicht, die der spezifischen Gefahrenlage des Internets entspricht. Wie oben aufgezeigt liegt hierin grade keine unzulässige Vermengung von Schutzbereich und Rechtsfolge.  Des Weiteren vermag die Internetdienstefreiheit nun auch problematische Zuordnungsschwierigkeiten wie beim digitalen Amateurjournalismus aufzufangen.[37] Eine sinnhafter Gehalt dieses Grundrechts lässt sich mit der Zeit hinreichend durch Auslegung und richterliche Rechtsfortbildung gewährleisten. Die Internetdienstefreiheit ist nicht unumstritten. Sie weist zum Beispiel Schwächen auf, wenn es um eine Abgrenzung bezüglich der Rundfunkfreiheit und das Merkmal der Linearität geht. So zum Beispiel lassen sich Live-Streaming-Dienste wie twitch oder Online-Mediatheken von Rundfunksendern nur sehr schwierig der Internetdienste- oder der Rundfunkfreiheit zuordnen.[38] Auch wenn dies in naher Zukunft nicht absehbar ist, so kann immerhin in der Theorie auf der anderen Seite die Pressefreiheit soweit zurückgedrängt werden, dass sie als verkörpertes Druckerzeugnis so gut wie vollständig obsolet wird. Gersdorf als der wohl schärfste Kritiker der Internetdienstefreiheit wirft der Internetdienstefreiheit des Weiteren vor, sie wäre nicht geeignet, die durch das Internet aufgeworfenen Fragen zu beantworten. So bliebe offen, bei wem die Kompetenzen für die Internetdienstefreiheit liegt und welchen regulativen Umfangs die Internetdienste bedürfen.[39] Dem ist zu entgegnen, dass erstens – ungeachtet der Existenz der Internetdienstefreiheit – Regelungen über das Internet gemäß Art. 30, 70 GG regelmäßig der Kompetenz der Länder unterfällt (Ausnahme ist die tatsächliche technische Zugangsmöglichkeit, namentlich das Telekommunikationsrecht, Art. 73 Nr. 7 Alt. 2 GG)[40]. Und zweitens, dass es Aufgabe des einfachgesetzlichen Gesetzgebers ist, seinen Ausgestaltungsvorbehalt bezüglich der Internetdienstefreiheit zu nutzen und die Erweiterung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nur der dogmatischen Begründung eines Regulierungsregimes neben dem der positiven Rundfunkordnung dient. Zur Entwicklung zeitgemäßer Regulative in Abgrenzung zum klassischen Rundfunk ist ein neues Grundrecht als Grundlage notwendig.

3) Abwägung der verschiedenen Lösungsansätze

Letztendlich sprechen viele gute Gründe für die einzelnen Reformationsentwürfe, es gibt teilweise auch gute Gründe, die dagegensprechen. Alle Auffassungen haben aber gemein, dass das Internet einer speziellen Berücksichtigung in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bedarf. Die Frage ist nur, wie dies am besten umgesetzt werden kann. Vorerst ist eine einheitliche Kommunikationsfreiheit abzulehnen. Es ist nicht ersichtlich, warum das Internet eine Differenzierung zwischen Individual- und Massenkommunikation entbehrlich macht. Im Übrigen muss entschieden werden, ob eine allgemeine Medienfreiheit oder eine Internetdienstefreiheit den Gegebenheiten der derzeitigen und zukünftigen Stellung des Internets jeweils besser entspricht. Der Internetdienstefreiheit ist eine präzise Erfassung von Online-Kommunikation und ein einheitlicher Regulierungsrahmen für das Internet zugute zu halten. Etwaige Abgrenzungsproblematiken bezüglich der Linearität können durch Richterrecht und Auslegung im Vergleich zu der vorherigen Gesetzeslage minimiert werden. Außerdem kann die Internetdienstefreiheit die weitere Divergenz zwischen verfassungsrechtlichem und einfachgesetzlichem bzw. europarechtlichem Rundfunkbegriff aufheben und beide Terminologien in ihrer linearen Funktion wieder näher aneinanderrücken lassen, was positiven Einfluss auf die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit haben dürfte. Auf der anderen Seite ist eine einheitliche Medienfreiheit nach europarechtlichem Vorbild innovationsfreundlicher. Im Gegensatz zur Internetdienstefreiheit würde sie die Wirkungen der Medienkonvergenz nicht nur auf das Internet beschränken, sondern auch die Möglichkeit offenlassen, andere in Zukunft auftretende Abgrenzungsschwierigkeiten zu erfassen. Man denke hier daran, dass der Gesetzgeber 1949 nicht einmal von den Möglichkeiten des heutigen Internets hätte träumen können. Ähnlich könnte es uns heute gehen, wenn es um ein in 70 Jahren möglicherweise auftretendes Phänomen der Medienkonvergenz geht. Letztendlich schließen sich Internetdienstefreiheit und eine einheitliche Medienfreiheit nicht aus. In einem abgestuften Regulierungssystem einer übergreifenden Medienfreiheit kann das Internet neben anderen Massenmedien wie Presse und Rundfunk parallel adressiert werden. Die Internetdienstefreiheit kann dabei als Abwägungskriterium für den konkreten Regulierungsrahmen herangezogen werden, ohne dabei fester Bestandteil von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sein zu müssen.

 

V. Fazit

Wie es Baer so schön ausdrückte: Das Grundgesetz braucht ein „Update“.[41] Die bisherige Grundrechtsdogmatik des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist überholt. Das Internetzeitalter verlangt eine neue Interpretation der Kommunikationsgrundrechte. Die zugegebenermaßen knifflige Frage nach dem „Wie?“ lässt sich am besten und am zukunftsfreundlichsten mit der Etablierung einer einheitlichen Medienfreiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG lösen. Nur wer über den Wortlaut hinaus eine Erweiterung der aufgezählten Massenmedien zulässt, kann sich sicher sein, den Herausforderungen der modernen Online-Kommunikation gerecht zu werden.

 

 

 


[1] BVerfGE 7, 198 (210); 61, 1 (8).

[2] Maurer, Die Regulierung der Meinungsmacht von Intermediären, 2019, S. 93.

[3] Maurer, Die Regulierung der Meinungsmacht von Intermediären, 2019, S. 103 ff.

[4] BVerfGE 95, 28 (35).

[5] Kahl, Elektronische Presse und Bürgerjournalismus, 2013, S. 108.

[6] Gersdorf, Verbot presseähnlicher Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, AfP 2010, 421, 422.

[7] Holznagel / Schumacher, in: Kloepfer (Hrsg.), Netzneutralität in der Informationsgesellschaft, 2011, Kommunikationsfreiheiten und Netzneutralität, S. 47 (S. 57).

[8] Schmitt, Die Rundfunkfreiheit: ein Kind ihrer Zeit – aus der Zeit gefallen?, DÖV 2019, 949, 953.

[9] Braam, Die anonyme Meinungsäußerung, 2015, S. 126 ff.

[10] BVerfGE 77, 346 (354).

[11] Schemmer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 42. Edition, Art. 5, Rn. 66.

[12] Neuberger, Medienrecht und Medienwandel aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht, AfP 2009, 537, 539; Gersdorf, Die Reichweite der Rundfunkfreiheit am Beispiel von Intermediären, BayVBl 2015, 625, 627.

[13] Holznagel / Schumacher, in: Kloepfer (Hrsg.), Netzneutralität in der Informationsgesellschaft, 2011, Kommunikationsfreiheiten und Netzneutralität, S. 47 (S. 57).

[14] Fiedler, Technologieneutrale Pressefreiheit, AfP 2011, 15, 16.

[15] Zum Grad der Relevanz: Tief, Kommunikation auf Facebook, Twitter und YouTube, 2020, S. 46 m.w.N.

[16] Mecklenburg, Internetfreiheit, ZUM 1997, 525.

[17] Holznagel, Die Zukunft der Mediengrundsätze zu Zeiten der Medienkonvergenz, MMR 2011, 1, 2.

[18] Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, 2016, S. 194 ff.

[19] BVerfGE, 65, 1; BVerfGE, 120, 274.

[20] Hain, Ist die Etablierung einer Internetdienstefreiheit sinnvoll?, K & R 2012, 98, 103.

[21] Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, 2016, S. 194.

[22] Koreng, Staatliche Internetpräsenzen zwischen legitimer Öffentlichkeitsarbeit und dem Verbot des Staatsrundfunks, AfP 2009, 117, 119.

[23] Kellner, Die Regulierung von Meinungsmacht von Internetintermediären, 2019, S. 111 ff.

[24] BVerfGE 90, 60 (87); Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, 2016, S. 192.

[25] BT-Drs. 17/12542, S. 9.

[26] Hain, Ist die Etablierung einer Internetdienstefreiheit sinnvoll?, K & R 2012, 98, 103.

[27] Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, 2016, S. 182 f.

[28] Tief, Kommunikation auf Facebook, Twitter und YouTube, 2020, S. 47.

[29] Gersdorf, Multi-Media: Der Rundfunkbegriff im Umbruch, AfP 1995, 565, 568.

[30] Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, 2016, S. 184.

[31] Schmitt, Die Rundfunkfreiheit: ein Kind ihrer Zeit – aus der Zeit gefallen?, DÖV 2019, 949; ausführlich Hain, in: Spindler/Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 5. Auflage 2020, Allgemeines C, Verfassungsrecht, Rn. 122 ff. m. w. N.

[32] BVerfGE, 57, 295 (320); BVerfGE 90, 60 (87).

[33] Vgl. Wieland, Die Freiheit des Rundfunks, 1984, S. 81; Davis, Die dienende Freiheit im Zeitalter der sozialen Vernetzung, 2019; BT-Drs. 17/12542, S. 148.    

[34] Degenhart, Verfassungsfragen der Internet-Kommunikation CR 2011, 232; Holznagel, Die Zukunft der Mediengrundsätze zu Zeiten der Medienkonvergenz, MMR 2011, 1; ähnlich Mecklenburg, Internetfreiheit, ZUM 1997, 525.

[35] Kellner, Die Regulierung von Meinungsmacht von Internetintermediären, 2019, S. 109.

[36] Schmitt, Die Rundfunkfreiheit: ein Kind ihrer Zeit – aus der Zeit gefallen?, DÖV 2019, 949, 953.

[37] Bock, Die Übertragbarkeit der Kommunikationsfreiheiten des Artikel 5 GG auf das Internet, 2018, S. 270.

[38] Bock, Die Übertragbarkeit der Kommunikationsfreiheiten des Artikel 5 GG auf das Internet, 2018, S. 273.

[39] Gersdorf, Die Reichweite der Rundfunkfreiheit am Beispiel von Intermediären, BayVBl 2015, 625, 626 f.

[40] Schulz, Kontrolle vorherrschender Meinungsmacht – Dekonstruktion eines medienrechtlichen Schlüsselbegriffs, AfP 2017, 373, 378.

[41] Baer, Braucht das deutsche Grundgesetz ein Update? : Demokratie im Internetzeitalter, Blätter für deutsche und internationale Politik 2011, S. 90.

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