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Digitale Souveränität in Europa muss gestärkt werden

Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0, Quantencomputing und Clouds – in Sachen Digitalisierung tut sich Einiges. Auch in Europa nimmt die Nachfrage nach digitalen Produkten und Dienstleistungen stetig zu. Doch viele der Angebote, die genutzt werden, stammen aus dem Ausland, vorwiegend aus den USA und Asien.

Aktionsplan für mehr digitale Souveränität

Angela Merkel, Kaja Kallas (Estland), Sanna Marin (Finnland) und Mette Frederiksen (Dänemark) haben in einem offenen Brief[1] an EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen appelliert, einen „Aktionsplan für mehr digitale Souveränität“ vorzulegen.[2] Die Offensive soll die digitale Wertschöpfung und digitale Innovationen nach Europa holen und hierfür entsprechende Voraussetzungen schaffen. Gatekeeper-Plattformen, die datengetriebene Innovationen hemmen bzw. die Möglichkeiten dazu vereinnahmen sollen schärfer reguliert werden.

Die Abhängigkeiten und Schwächen der europäischen digitalen Kapazitäten, Fähigkeiten und Technologien sei in den vergangenen Monaten deutlicher zutage getreten.[3] Daten seien die neue Währung, werden aber überwiegend außerhalb Europas gesammelt und gespeichert – auch für demokratische Grundwerte stelle dies ein Problem dar. Die Europäische Union solle sich an die Spitze des digitalen Wandels setzen, seine digitale Transformation neu beleben und durch eine selbstbestimmte, offene Digitalpolitik flankieren. Die Regierungschefinnen schlagen dazu drei Schritte vor:

Zunächst müsse die Kommission kritische Technologien und Systeme sowie strategische Sektoren und damit im Ergebnis Europas Stärken und Schwächen ermitteln. Transparenz sei hierbei ein wichtiger Aspekt, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft sicherzustellen.

Des weiteren müsse die EU-Politik in dieser Hinsicht präzisieren und verstärken. Primär sollen offene Märkte und Lieferketten gewährleistet werden, wo dies nicht möglich ist, müssen wechselseitige Abhängigkeiten geschaffen werden. Als „letzte Option“ wird die aktive Förderung und Ausweitung europäischer Kapazitäten und Fähigkeiten genannt. Der digitale Binnenmarkt müsse das Wachstum von Unternehmen erleichtern und Innovation und Investitionen vorantreiben. Anzustreben sei eine globale Plattformregulierung, aufbauend auf den EU-Vorhaben Digital Services Act[4] und Digital Markets Act, die dazu beitragen sollen, Daten zu demokratisieren und unfairen Praktiken der Gatekeeper-Plattformen wie der Bevorzugung eigener Angebote durch Transparenzpflichten und andere Vorgaben einen Riegel vorschieben.

Darüber hinaus sei ein regelmäßiges und dauerhaftes Monitoring in der EU unabdingbar: Auf einer breiten gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Grundlage sollen digitale Entwicklungen vorausgesehen und konkrete Maßnahmen und Instrumente mit Blick auf unsere Stärken und Schwächen bestimmt und implementiert werden können.

Die Politikerinnen schließen den Brief mit dem Aufruf an Ursula von der Leyen, „dieses gemeinsame Vorhaben mit dem ganzen politischen Gewicht der Europäischen Kommission zu unterstützen“.

Digitale Dekade

Bereits im vergangenen Jahr hatte von der Leyen eine „Digitale Dekade“ ausgerufen. In den kommenden zehn Jahren sollen diverse digitale Projekte – etwa in den Themenbereichen Big-Data-Analysen, Hochleistungsrechner, KI und Robotik, Telemedizin, Cloud Computing, Breitbandausbau, 5G und viele mehr – vorangetrieben und Regulierungsvorhaben wie die geplante Verordnung für das in Luxemburg angesiedelte „European High Performance Computing (EuroHPC) Joint Undertaking“[5] umgesetzt werden.[6] Als zentrale Prioritäten für die digitale Souveränität Europas nannte die Kommissionspräsidentin Daten und besonders das Ausschöpfen des Potenzials der Industriedaten in Europa, Künstliche Intelligenz und deren rechtliche Rahmenbedingungen sowie der Ausbau der digitalen Infrastruktur unter besonderer Berücksichtigung des ländlichen Raums.[7] Im Rahmen ihrer Keynote beim Digital-Gipfel der Bundesregierung betonte sie auch, dass „grüner und digitaler Wandel Hand in Hand gehen“,  die „Wende zur Nachhaltigkeit nur gelingen kann, wenn auch [der digitale Wandel] Fahrt aufnimmt“.[8] Maßgeblich von Bedeutung seien etwa genaue Analysen, die unter anderem mit in dem Projekt Destination Earth (DestinE) mithilfe eines „digitalen Zwillings“ der Erde gewonnenen Daten zu besseren Entscheidungen und damit zum Erreichen der Klimaziele beitragen sollen. Umgekehrt müsse auch der digitale Sektor grüner werden und die umweltbezogenen Herausforderungen – Datenverarbeitung im großen Stil benötigt enorm viel Energie – angehen und meistern.

Fazit

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind laut Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands eco, „zwei Seiten derselben Medaille“.[9] Zwar wird die Frage nach dem ökologischen Fußabdruck seitens der Digitalbranche gerne unter den Tisch gekehrt und stattdessen die wichtige Rolle digitaler Technologien als „Teil der Lösung“ für die Umweltprobleme hervorgehoben. Angesichts der Tatsache, dass die Digitalisierung selbst einen Aspekt der Lebenswirklichkeit darstellt, der weder durch Überregulierung noch durch sonstige Maßnahmen wieder rückgängig zu machen ist, muss jedoch in jedem Fall ein – in mehrfacher Hinsicht – nachhaltiges Konzept entwickelt werden. Inwieweit „unsere“ Werte und Grundsätze hier einfließen, hängt ganz entscheidend davon ab, ob Europa eine Pionierrolle in der Entwicklung neuer Technologien einnehmen kann oder lediglich (vorwiegend) fremde Technologien nutzt.

Nationaler Protektionismus wird dabei nicht weiterhelfen. Vielmehr kommt es darauf an, die notwendigen Kompetenzen in Europa flächendeckend zu stärken und Innovationen nicht nur punktuell zu fördern. Der medienwirksame Appell für mehr digitale Souveränität ist zu begrüßen; wichtiger ist jedoch, den Worten auch Taten folgen zu lassen.


[1] Der Brief ist im Wortlaut im Beitrag Koch/Sigmund/Herwartz, Appell von vier Regierungschefinnen an die EU: „Europa muss seine digitale Souveränität stärken“, Handelsblatt Online, 02.03.2021, abrufbar.

[2] Vgl. Koch/Sigmund/Herwartz, Appell von vier Regierungschefinnen an die EU: „Europa muss seine digitale Souveränität stärken“, Handelsblatt Online, 02.03.2021, dort auch zum Folgenden.

[3] Vgl. den offenen Brief von Angela Merkel, Mette Frederiksen, Sanna Marin und Kaja Kallas (Fn. 1), dort auch zum Folgenden.

[4] Vgl. zu den wichtigsten vorgesehenen Regelungen des Digital Services Act Marx, AnwZert ITR 4/2021, Anm. 2.

[5] Proposal for a Council Regulation on establishing the European High Performance Computing Joint Undertaking, 18.09.2020 – COM(2020) 569 final; vgl. auch das Themenportal EuroHPC – Leading the way in European Supercomputing.

[6] Vgl. Krempl, Digitale EU-Dekade: Superrechner und schnelle Netze für digitale Souveränität, Heise Online, 18.09.2020.

[7] Vgl. die Ausführungen der Präsidentin auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Michel im Anschluss an die außerordentliche Tagung des Europäischen Rates vom 02.10.2020.

[8] Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 01.12.2020, dort auch zum Folgenden.

[9] eco – Verband der Internetwirtschaft e.V., Pressemitteilung vom 16.09.2020.