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Netzneutralität und Zero Rating

Heute, am 14. Dezember 2017, hat sich die Federal Communications Commission (FCC) dazu entschieden, eine bisher recht konsequente Umsetzung der Netzneutralität in Amerika zu beenden. Netzneutralität bedeutet, dass alle Daten im Internet gleichbehandelt werden, unabhängig davon, wer sie übermittelt oder empfängt (sog. Best-Effort-Prinzip). Gegner der Netzneutralität argumentieren, dass diese Regelung dem Ausbau digitaler Infrastruktur schaden würde und Unternehmen in ihrem legitimen Interesse nach Profit beeinträchtigt. Andere warnen davor, dass ohne Netzneutralität ein „Zwei-Klassen-Internet“ entstehe, das große Unternehmen bevorzuge. Der folgende Beitrag will anlässlich dieser Debatte auf die rechtlichen Hintergründe der Netzneutralität in Deutschland und Europa eingehen und diese am Beispiel des „Zero Ratings“ diskutieren.

Netzneutralität aus deutscher Sicht

Als Argument für die Notwendigkeit der Netzneutralität wird beispielsweise angeführt, dass Internetdienstanbieter andernfalls Meinungen, Geschäftsmodelle oder Nutzergruppen diskriminieren könnten, indem sie beispielsweise mittels einer „Deep Packet Inspection“ (DPI) den Inhalt einzelner Datenpakete auslesen, analysieren und diese dann gegebenenfalls drosseln, wenn sie nicht zu den „privilegierten“ Inhalten zählen. Dieses Vorgehen könnte aber den Straftatbestand des §206 Abs. 2 Nr. 2 StGB erfüllen. Der Begriff des „Unterdrückens“ im Sinne der Norm umfasse nämlich nicht nur den Fall, dass Daten überhaupt nicht weitergeleitet werden, sondern auch ein Verzögern der Weiterleitung. Folglich lasse sich das Erfordernis einer allgemeinen Netzneutralitätsregelung nicht auf diese Weise begründen.  Einzuwenden ist aber, dass eine DPI nicht zwingend notwendig ist, um zwischen Datenpaketen differenzieren zu können (vgl. Gerpott, K&R 2017, 677, 682). Bei der Beurteilung der Strafbarkeit nach 206  Abs. 2 Nr.2 StGB kommt es daher eher darauf an, ob eine solche Differenzierung die Datenpakete der „ordnungsgemäßen Beförderung“ entzieht (vgl. Altenhain, in: MüKo StGB, 3.Aufl. 2017, § 206 Rn. 56). Auch wenn das StGB nicht greift, wäre so ein Verstoß gegen das Best-Effort-Prinzip denkbar.

Argumentiert wird auch, dass Netzneutralität vor dem Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen schütze. Die §§ 16 ff. und 42 TKG sowie Art. 102 AEUV und §§ 19, 20 GWB sollen aber bereits  entsprechende Gegenmaßnahmen darstellen. Dagegen lässt sich aber einwenden, dass eine allgemeine Netzneutralitätsregel auch „kleinere“ Dienstanbieter verpflichten würde während die oben genannten Normen überwiegend nur regulierungsrechtliche Vorschriften für Unternehmen mit entsprechender Marktmacht darstellen.

Vielmehr ist eine Netzneutralitätsregelung ein Eingriff in die Berufs- und Eigentumsfreiheit (Art. 12, 14 GG) von Internetdienstanbietern. Zur Rechtfertigung der Einschränkung dieser Grundrechte werden unter anderem die Meinungs- und Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), die Informationsfreiheit und das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) ins Feld geführt. Aus den oben aufgeführten Gründen kann diese Argumentation jedoch nur bedingt überzeugen. Sie verdeutlicht aber, dass Netzneutralität ein legitimes Ziel darstellt und auch mit Gütern von Verfassungsrang abgewogen werden kann.

Netzneutralität in der Europäischen Union am Beispiel des „Zero Rating“

Die Europäische Union hat am 25. November 2015 eine Verordnung ((EU) 2015/2120) verabschiedet, die die oben dargestellte Problematik regeln und die Interessen von Nutzern und Firmen abwägen soll. Die Verordnung normierte neben einer grundsätzlichen Netzneutralität auch den Wegfall der Roaming-Gebühren bei Telefonaten im EU-Ausland und wurde von Anfang an für ihre „schwammigen“ Formulierungen kritisiert. Damit habe sich das Problem der genauen Gewichtung der Interessen lediglich auf die Ebene der Rechtsanwendung verlagert.

Nach der ersten Lesung im EU-Parlament wurde unter anderem auch das Verbot des „Zero Rating“ aus der Verordnung gestrichen. Aktivisten fürchten nun eine Umgehung der Netzneutralität „durch die Hintertür“.

 „Zero-Rating“ bedeutet, dass bestimmte Dienste nicht auf das Datenvolumen der Nutzer angerechnet werden. Ein Beispiel hierfür ist etwa das Angebot „Stream On“ der Deutschen Telekom AG, dessen weitgehende Zulässigkeit die Bundesnetzagentur erst vor kurzem bestätigt hat. Das Problem wird freilich dadurch verschärft, dass Telekommunikationsanbieter häufig nur ein sehr geringes Datenvolumen für den Nutzer bereitstellen und dadurch bisweilen auf jedes Megabyte geachtet wird. Zum Teil greift sogar eine Datenautomatik, d.h., mit dem Überschreiten des inklusiven Datenvolumens des Vertrags entstehen neue Kosten, ohne dass diese Einstellung deaktiviert werden könnte. Die Nutzer werden also eher zu einem Dienst greifen, der das vorhandene Datenvolumen nicht angreift.

Der Umstand, dass der europäische Gesetzgeber die Praxis des „Zero Rating“ kannte, diese aber nicht verbot, lässt den Schluss zu, dass er es als mit den in der Verordnung enthaltenen „Endnutzerrechten“ (Art. 3 Abs.1 VO) vereinbar ansah.

Dafür lässt sich auch ein Wortlautargument anführen: In den in Art. 3 Abs. 1 VO normierten „Endnutzerrechten“ ist auch ein Recht zur Verbreitung von Diensten enthalten. Daraus wird gefolgert, dass „Endnutzer“ im Sinne der Verordnung nicht nur der ist, der Internetdienste nutzt, sondern auch, wer diese anbietet. Art. 3 Abs. 2 VO erlaubt es „Endnutzern“ und Anbietern von Internetzugangsdiensten, Vereinbarungen beispielsweise über Preise und Datenvolumina zu treffen. Hieraus wird eine Zulässigkeit des Zero Ratings abgeleitet (vgl. Fetzer, MMR 2017,579).
Aus den „Endnutzerrechten“ wird aber auch gefolgert, dass durch die Verordnung die Auswahlmöglichkeit der „Endnutzer“ und damit das „Internet als offener Innovationsraum“8 geschützt werden soll. „Zero Rating“ ist also zumindest dann unzulässig, wenn es die „Endnutzerrrechte“ wesentlich einschränkt.

Denkbar ist dabei die Einschränkung der Rechte einzelner „Endnutzer“ in Gestalt eines Internetkunden aber auch in Gestalt eines Dienstanbieters sowie die Einschränkung der Rechte von „Endnutzern“ als Gruppe, d.h. der Allgemeinheit. Internetnutzer sind beispielsweise dann in ihren Rechten verletzt, wenn Dienste, die nicht dem „Zero Rating“ unterfallen, geblockt werden. Bei Dienstanbietern wird es immer dann problematisch, wenn der Zugang zu einem „Zero Rating- Angebot“ von einem Entgelt abhängig gemacht wird. Hier ist daher eine Einzelfallabwägung notwendig, bei der insbesondere das bestehende Konkurrenzverhältnis zu beachten ist. Im Interesse der Allgemeinheit sind unlautere Wettbewerbsvorteile zu vermeiden. Auch hier ist eine Einzelfallabwägung notwendig. Unter anderem wird dabei auf einen diskriminierungsfreien Zugang und die Erhebung eines Entgelts abzustellen sein.

Bei aller Kritik muss zumindest auch festgestellt werden, dass „Zero Rating“ sowohl für Internetnutzer als auch Internetdienstanbieter von Vorteil sein kann, weil es deren verfügbares Datenvolumen faktisch vergrößert bzw. ihnen eine Möglichkeit bietet, sich von der Konkurrenz abzuheben. Außerdem gebietet die Vertragsfreiheit beider Seiten die grundsätzliche Zulässigkeit dieser Praxis in bestimmter Form, sofern der Gesetzgeber dies nicht in zulässiger Weise beschränkt hat.

Quellen:

1: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/netzneutralitaet-in-den-usa-team-internet-will-team-kabel-stoppen-a-1179795.html

2: https://www.for-net.info/2013/05/24/netzneutralitat-mit-zweierlei-mas-fremde-oder-eigene-dienste/

3: http://www.wiwo.de/technologie/digitale-welt/netzneutralitaet-was-ist-mit-einem-zwei-klassen-internet-gemeint/10982788-2.html

4: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32015R2120

5: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/netzneutralitaet-europaparlament-beschliesst-gesetz-a-1059768.html

6: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/netzneutralitaet-europa-streitet-ueber-das-zwei-klassen-internet-a-1059376.html

7: https://netzpolitik.org/2017/schwerer-schlag-gegen-die-netzneutralitaet-bundesnetzagentur-winkt-streamon-durch/

8:  Fetzer, MMR 7017,579, 579ff.

9: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R2120&from=DE

10: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/impulsstudie-oekonomische-und-juristische-grundlagen-der-netzneutralitaet.pdf?__blob=publicationFile&v=3

11: http://home.in.tum.de/~gufler/files/faq/dhp/dhp-faq.pdf#page=95

12: Gerpott, K&R 2017, 677, 682

13: http://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/datentarife-in-der-eu-wo-mobiles-surfen-guenstig-ist-a-1122608.html

14: Altenhain, in: MüKo StGB, 3.Aufl. 2017, § 206 Rn. 56

15:http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/netzneutralitaet-fcc-entscheid-schwaecht-freies-netz-a-1183325.html

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