Im Gegensatz zum US-amerikanischen Recht ist in Deutschland der digitale Nachlass bisher nicht gesondert geregelt. Derzeit handhaben die Anbieter sozialer Netzwerke die Möglichkeit des Zugriffs auf die Daten des Verstorbenen durch die Erben unterschiedlich. Bei GMX beispielsweise müssen die Erben sich ausweisen und einen Erbschein vorlegen, bei Google kann eine Vertrauensperson bestimmt werden, die das Konto im Todesfall löschen kann. Bei Facebook besteht die Möglichkeit, zu Lebzeiten einen Nachlasskontakt auszuwählen oder die Löschung des Kontos im Todesfall vorzusehen. Eine Umfrage des Digitalverband Bitcoms von 2017 ergab jedoch, dass 80% der befragten Internetnutzer keinerlei Regelung zu ihrem digitalen Nachlass getroffen hatten. Nun hat der BGH in einem Grundsatzurteil (Urt. v. 12.07.2018, Az.: III ZR 183/17) zum digitalen Nachlass etwas Rechtsklarheit geschaffen.
Ein Vertrag mit einem sozialen Netzwerk über ein Benutzerkonto gehe grundsätzlich im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge gemäß §1922 Abs. 1 BGB auf die Erben des ursprünglichen Kontoinhabers über. Die Erben haben gegen den Anbieter des sozialen Netzwerkes einen Anspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto des Erblassers, der unter anderem den Anspruch auf Einblick in die von dem Benutzerkonto ausgehenden Kommunikationsinhalte mit Dritten umfasst.
Damit entschied der BGH im Sinne der Klägerin, die sich, nachdem ihre 15 Jahre alte Tochter unter ungeklärten Umständen von einer U-Bahn erfasst und später im Krankenhaus verstorben war, erhofft hatte, mithilfe des Facebook-Accounts ihrer Tochter aufklären zu können, ob diese vor ihrem Tod Suizidgedanken gehegt hatte. Da Facebook inzwischen jedoch von einem Dritten der Tod des Mädchens angezeigt worden war, war das Benutzerkonto in einen sogenannten Gedenkzustand versetzt worden. Das Benutzerkonto blieb für bestehende Kontakte auf Facebook erhalten, trotz korrekter Zugangsdaten konnte jedoch nicht mehr darauf zugegriffen werden. Die privaten Nachrichten ihrer Tochter, durch die sich die Klägerin Klarheit erhoffte, waren deswegen für sie nicht einsehbar.
Nachdem das Landgericht Berlin (Urt. v. 17.12.2015 – Az.: 20 O 172/15) der Klage der Mutter stattgegeben und Facebook verpflichtet hatte, der aus Mutter und Vater bestehenden Erbengemeinschaft Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und seinen Inhalten zu gewähren, urteilte das Kammergericht Berlin (Urt. v. 31.05.2017 – Az.: 21 U 9/16) auf Berufung zu Ungunsten der Mutter. Es befand, dass ein derartiger Anspruch, sofern er aus § 1922 Abs. 1 BGB entstehen könne, jedenfalls aufgrund des Telekommunikationsgeheimnisses gemäß § 88 Abs. 3 TKG nicht durchsetzbar sei.
Der BGH hob nun das Urteil des Kammergerichts auf. Der Nutzungsvertrag sei nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Eltern als Erben übergegangen.
Dies sei im konkreten Fall auch nicht vertraglich ausgeschlossen. Während die Nutzungsbedingungen selbst keine Bestimmungen enthielten, die eine Vererbbarkeit des Nutzungsvertrages ausschlössen, seien die Richtlinien zum Gedenkzustand nicht von dem Vertrag umfasst. Darüber hinaus würden die Richtlinien einer AGB-Prüfung nach § 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB nicht Stand halten, da sie zwar die Vererbbarkeit des Nutzungsvertrages nicht ausschlössen, jedoch die vertraglichen Rechte der Erben, die in den Nutzungsvertrag eingetreten seien, unangemessen aushöhlten.
Zudem sei der Vertrag auch nicht höchstpersönlicher Natur und daher grundsätzlich vererblich. Erwägungen, die den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kommunikationspartner zum Inhalt hätten und so für die Annahme eines höchstpersönlichen Vertrags sprächen, seien weder stillschweigend vorausgesetzt noch ausdrücklich Teil des Vertrags geworden. Der Abschluss des Nutzungsvertrages erfolge zwar unter der Annahme, dass das soziale Netzwerk private Nachrichten nicht an Außenstehende, sondern lediglich an die von dem Nutzer spezifizierten Benutzerkonten übermittelt würden. Die vertraglichen Verpflichtungen des sozialen Netzwerkes, wie das Übermitteln von Kommunikationsinhalten an ein Benutzerkonto, seien jedoch nicht primär personenbezogen, sondern kontobezogen, so dass sich hieraus ebenfalls kein höchstpersönlicher Charakter des Vertrages begründe. Nutzer müssten zudem bereits zu Lebzeiten damit rechnen, dass ihr Kommunikationspartner seine Zugangsdaten oder gemeinsame Kommunikationsinhalte an Dritte weitergeben könnte. So wie auch bei dem Versenden von Briefen, der Zusteller nur für die Übermittlung an den Briefkasten verantwortlich sei, während die Kommunikationspartner das Risiko für eine Kenntnisnahme durch Dritte nach der Zustellung trage, sei dieses Risiko auch im Digitalen durch den Absender zu tragen. Dies gelte erst recht nach dem Tod des Kontoinhabers.
In der Frage einer Differenzierung zwischen dem Zugang zu höchstpersönlichen und dem zu vermögenswerten Inhalten sei im Übrigen mit digitalen Inhalten wie mit analogen Dokumenten zu verfahren. Auch Briefe und Tagebücher würden vererbt. Wie sich aus § 2047 Abs. 2 BGB und § 2373 Satz 2 BGB ergebe, tritt also der Erbe auch im Hinblick auf Rechtspositionen mit höchstpersönlichen Inhalten in die Rechtsstellung des Verstorbenen ein.
Im Gegensatz zur Zweitinstanz sah der BGH in der Regelung zum Fernmeldegeheimnis nach § 88 Abs. 3 TKG kein Hindernis für den Anspruch der Erben auf Zugriff. Bereits in den mündlichen Verhandlungen wies der BGH darauf hin, dass die Erben keine „Anderen“ im Sinne des § 88 Abs. 3 TKG seien, sofern sie in die Rechtsstellung des Verstorbenen eintreten.
Der Anspruch der Klägerin sei auch mit dem Datenschutzrecht vereinbar. Der Zugriff auf Kommunikationsinhalte, die im Austausch zwischen der Erblasserin und deren Kommunikationspartnern entstanden waren, sei als Verarbeitung personenbezogener Daten zur Erfüllung eines Vertrages i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1 DS-GVO zulässig. Die Leistung des Netzanbieters bestehe auch im Verhältnis zu dem Kommunikationspartner des Erblassers gerade in einer zeitlich unbegrenzten Bereitstellung der an das Konto des Erblassers übermittelten Inhalte. Der Erbe, der nunmehr neuer Vertragspartner von Facebook sei, sei nun neuer Zugangsberechtigter hinsichtlich der Kontoinhalte. Zusätzlich sei das Bereitstellen des Kontoinhalts zur Wahrung der berechtigten, hier überwiegenden, Interessen der Erben (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO) zulässig.
Der BGH entschied damit, dass ein Nutzungsvertrag mit einem sozialen Netzwerk wie Facebook grundsätzlich vererbbar ist. Offen ließ der BGH, ob die Vererbbarkeit des Nutzungsvertrages vertraglich durch die AGB ausgeschlossen werden könnte. Es bleibt also abzuwarten, ob Dienstanbieter auf eine Änderung der Nutzungsverträge zurückgreifen werden. Unklar ist darüber hinaus auch, ob eine vertragliche Übereinkunft des Erblassers selbst mit dem Netzwerk-Anbieter, in der die Löschung des Kontos nach seinem Tod vereinbart wurde, einer AGB-Kontrolle standhalten würde.
Etwaige Abwehransprüche der Kommunikationspartner des Erblassers finden in dem Urteil kaum Geltung. Der BGH verneint einen Anspruch der Kommunikationspartner auf Löschung der an das Nutzerkonto des Verstorbenen versendeten Nachrichten. Den Widerruf ihrer Einwilligung zur weiteren Bereitstellung von lediglich mit dem Nutzerkonto geteilten, also nicht in Form von Nachrichten übermittelten, Inhalten erkennt er dagegen an. Sofern sich eine solche Regelung vertraglich auf andere Kommunikationsinhalte ausweiten ließe, bestünde hierdurch eine Möglichkeit etwaige Abwehrinteressen der Kommunikationspartner über den Netzwerk-Betreiber zu lösen. Der Entschluss des BGH schafft Rechtssicherheit für Nutzer und Netzwerkbetreiber. Es ist zu begrüßen, dass hierdurch nun eine verlässlichere Beratung durch Notare und Anwälte zum digitalen Nachlass in Bezug auf Nutzungsverträge mit sozialen Netzwerken ermöglicht wird. Darüber hinaus vermeidet das Urteil zukünftig die Verwaisung großer Mengen account-bezogener personenbezogener Daten von Nutzern nach ihrem Tod.
Quellen:
Landgericht Berlin, Urt. v. 17. Dezember 2015 – Az.: 20 O 172/15, abrufbar unter: http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/279b/bs/10/page/sammlung.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE160001169&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint
Kammergericht Berlin, Urt. v. 31. Mai 2017 – Az.: 21 U 9/16, abrufbar unter: http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/279b/bs/10/page/sammlung.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE242682017&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint
Bundesgerichtshof, Urt. vom 12. Juli 2018 – Az.: III ZR 183/17, abrufbar unter: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=86032&linked=urt&Blank=1&file=dokument.pdf
Bundesgerichtshof, Mitteilung der Pressestelle zum Urteil vom 12. Juli 2018 – Az.: III ZR 183/17, abrufbar unter: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=85390&linked=pm
https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Die-wenigsten-regeln-ihren-digitalen-Nachlass.html