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LG München I: Amazon haftet für Urheberrechtsverletzungen seiner Marketplace-Verkäufer

Bereits mit Urteil vom 26.01.2016 (Az.: 16 O 103/14) hatte das LG Berlin entschieden, dass der Onlineversandhändler Amazon für Urheberrechtsverletzungen der Verkäufer auf Amazon Marketplace haftet. Zu diesem Ergebnis ist nun auch das Landgericht München I in einem Urteil vom 20.02.2019 (Az.: 37 O 5140/18) gelangt.

Sachverhalt

Über den Marketplace können Dritthändler ihre Waren auf Amazon anbieten und dazu Fotos und Texte hochladen. Existiert für ein Produkt bereits eine Seite, werden weitere Händler an diese „angehängt“ und können keine neue Seite erstellen. „Der Aufbau und die Präsentation der Produktdetailseiten unterscheiden sich nicht danach, ob Produkte im Eigenhandel, nur durch Dritthändler oder kumulativ im Eigenhandel sowie durch Dritte angeboten werden“ (aus dem Urteil des LG München I, Rn. 55). Eine Auswahl der hochgeladenen Bilder durch Amazon soll nur erfolgen, wenn eine Höchstgrenze überschritten wurde.

Die Klägerin, eine Herstellerin von Sport- und Freizeitrucksäcken, vertreibt ihre Waren in einem selektiven Vertriebssystem, d.h. ihre Produkte dürfen nur von Händlern verkauft werden, die bestimmte Merkmale erfüllen und sich verpflichten, die Ware nicht an Händler zu verkaufen, die von der Herstellerin nicht zum Verkauf zugelassen wurden (vgl. Art. 1 Abs. 1 Lit. e) der VO 330/2010 EU). (Ein solches Vertriebssystem wird üblicherweise von „Edelmarken“ verwendet). Die Klägerin behauptete, die exklusiven Nutzungs- und Verwertungsrechte an neun streitgegenständlichen Lichtbildern zu besitzen, die auf dem Marketplace eingestellt wurden. Ihren Vertragshändlern habe die Klägerin aber nicht gestattet, die Lichtbilder für Verkäufe auf dem Marketplace zu benutzen. Sie verklagte daher den Onlineversandhändler Amazon, der im Impressum des Marketplace als dessen Betreiber bezeichnet wird, u.a. auf Unterlassen. Es solle Amazon verboten werden, die Lichtbilder auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im geschäftlichen Verkehr öffentlich zugänglich zu machen.

Amazon hingegen rügte die internationale und örtliche Zuständigkeit des LG München I. Auch vertrat der Konzern die Auffassung, dass es sich bei den streitgegenständlichen Bildern nur um Gebrauchsabbildungen ohne Schöpfungshöhe handle. Ferner wurde bestritten, dass die einstellenden Dritthändler nicht zur Nutzung der Abbildungen berechtigt gewesen seien. Hier liege jedenfalls eine mutmaßliche Einwilligung vor, weil die Weiterverbreitung von Werbematerialien auch im Interesse der Klägerin liege. Die Klägerin könne sich dabei nicht auf ihr selektives Vertriebssystem berufen, weil dieses kartellrechtswidrig sei. Vor allem aber berief sich die Beklagte darauf, dass nicht sie, sondern die einstellenden Dritten die Abbildungen verwendet und zugänglich gemacht haben, sodass nur diese in Anspruch genommen werden könnten. Mangels Erreichung der Höchstzahl für Bilder auf der Marketplace-Seite habe der Konzern keine Auswahlentscheidung vorgenommen. Auch sei der Tatbestand des § 19a UrhG nicht erfüllt, weil sich die Abbildung nicht an ein neues Publikum richte.

Das Urteil des LG München I anhand der Einwände der Beklagten

Das LG München I gab der Klage statt.

Zulässigkeit

Die örtliche und internationale Zuständigkeit des Gerichts ergebe sich aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Zwar hätten weder der Betrieb der Plattform noch die zugrundeliegenden unternehmerischen Entscheidungen in Deutschland sattgefunden und es sei auch nicht ersichtlich, dass sich die Server zur Generierung der Produktseite in Deutschland befänden, neben dem Gerichtsstand des Handlungsortes komme jedoch auch der Ort der Verletzung des Schutzgutes in Betracht. Die Klägerin berufe sich hier auf ein in Deutschland wirksames Schutzrecht, sodass –territorial beschränkt- die Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben sei. Der Sachverhalt weise außerdem eine Verbindung zum Gerichtsbezirk auf, weil das Angebot auf der Produktseite in deutscher Sprache abrufbar sei. Nachdem die Klägerin ihren Sitz im Gerichtsbezirk (§ 45 II Nr. 1 BayGZVJu) habe, sei die internationale und örtliche Zuständigkeit des LG Münchens I auch aus prozessökonomischen Gründen sachgerecht, weil hier am einfachsten Beweismittel erhoben werden können.

Begründetheit

1 Anwendbarkeit deutschen Rechts

Nach Art. 8 Abs. 1 Rom-II-VO ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums das Recht des Staates anzuwenden, für den der Schutz beansprucht wird. Folglich müsse auf die streitgegenständlichen Ansprüche deutsches Recht angewendet werden.

2 Anspruch auf Unterlassen

Der Anspruch der Klagepartei auf Unterlassung der Darstellung der streitgegenständlichen Abbildungen ergebe sich aus §§ 97 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2, 15 Abs. 2 Nr. 219a UrhG.

a) geschütztes Werk

Durch das UrhG werden nur Werke geschützt, die das Ergebnis einer persönlichen, geistigen Schöpfung sind (vgl. § 2 Abs. 2 UrhG). Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung eines Werkes, d.h. das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist (§ 19a UrhG), steht alleine dem Urheber zu (§ 15 Abs. 2 S. 1 und 2 Nr. 2 UrhG). Daher hatte Amazon die Schöpfungshöhe der Bilder bestritten. Um dahingehende Feststellungen treffen zu können, hatte das LG München I den Fotografen der Bilder als Zeugen geladen. Dieser konnte darstellen, dass er bei der Aufnahme eigenständige, schöpferische Entscheidungen hinsichtlich des Bildaufbaus und der Lichtführung treffe. Gestaltungsziel sei es gewesen, dass das Produkt Volumen aufweise und das Material plastisch wirke. Das LG ordnete die streitgegenständlichen Bilder folglich als geschützte Lichtbildwerke im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 UrhG ein. Der Zeuge konnte auch zur Überzeugung des Gerichts vorbringen, dass die Klägerin die ausschließlichen Nutzungsrechte an den Werken innehabe (§ 31 UrhG).

b) öffentliche Zugänglichmachung

Die insofern primär beweispflichtige Klägerin hatte nicht dargelegt, dass die streitgegenständlichen Werke nicht auch auf anderen Plattformen einsehbar waren. Das LG ging daher davon aus, dass die Lichtbilder, wie von Amazon eingewendet, auch auf anderen Webseiten betrachtet werden konnten. Das Gericht hatte daher die Frage zu klären, ob die Wiedergabe der urheberrechtlich geschützten Werke auf einer anderen Webseite noch eine öffentliche Zugänglichmachung darstellt.

Das Gericht geht dabei vom Grundsatz aus, dass jede unberechtigte Nutzung eines Werkes ohne vorherige Zustimmung (= vorherige Einwilligung, vgl. § 183 BGB) des Urhebers dessen Rechte verletzt. Zwar richten sich etwaige online Angebote der autorisierten Händler auch an potentielle Kaufinteressenten. Dieses Publikum unterscheide sich zwar weder nach seiner Struktur noch nach seinen Interessen voneinander, maßgeblich sei aber das Publikum, an das der Nutzungsberechtigte bei der Einstellung des Online-Angebotes gedacht habe. Aufgrund ihres selektiven Vertriebssystems habe die Klägerin aber nur die Kunden der autorisierten Händler im Blick gehabt. Diesen habe die Klägerin aber unstrittig das Einstellen der Bilder auf dem Marketplace untersagt. Das Einstellen der Lichtbildwerke auf Amazon sei daher als öffentliche Zugänglichmachung zu werten, weil nur eine solch enges Verständnis dem Schutzzweck der Richtlinie 200129/EG gerecht werde.

c) Einschub: Anmerkung zu dieser Argumentation

Dieses Argumentationsmuster ist interessant. Schließlich hatte gerade (jedenfalls) ein autorisierter Vertragshändler die Bilder auf dem Marketplace eingestellt. Aus diesem Umstand könnte man auch folgern, dass die Amazon-Kunden zum Kundenstamm des Vertragshändlers zählen. Diesen Einwand lässt das LG aber deshalb nicht gelten, weil es den Vertragshändlern verboten wurde, die Bilder auf die Plattform zu stellen. Darauf, ob ein solches Verbot kartellrechtlich möglich ist, geht das LG an dieser Stelle aber nicht ein. Es merkt lediglich an späterer Stelle an, dass eine etwaige Kartellrechtswidrigkeit die Urheberrechtsverletzung nicht beseitigen könne. (zur kartellrechtlichen Möglichkeit selektiver Vertriebsmodelle: EuGH 06.12.2017, C- 230/16, Coty Germany)

d) Zurechnung der Verletzungshandlung (stark gekürzt)

Nach Ansicht des LG hat die Beklagte bei der Veröffentlichung der Bilder eine zentrale Rolle gespielt. Die Produkte werden unter ihrem Logo präsentiert. Ihr sei die Nutzungshandlung daher zuzurechnen.

e) kein Ausschluss der Haftung durch § 10 Abs. 1 TMG

Die Haftungsprivilegierung des § 10 Abs. 1 TMG ist nach Ansicht des LG nicht einschlägig, weil Dienstanbieter sich im Hinblick auf die Inhalte neutral verhalten während die Beklagte die Produkte von Drittanbietern unter ihrem eigenem Logo bewirbt.

f) keine mutmaßliche Einwilligung oder Übertragung der Nutzungsrechte

Eine mutmaßliche Einwilligung in die Benutzung der Bilder lehnt das LG aufgrund des selektiven Betriebsmodells der Klägerin ab. Eine durch die AGB von Amazon vorgesehene Übertragung der Nutzungsrechte scheitere an der fehlenden Berechtigung der Vertragshändler, die Nutzungsrechte an den Lichtbildern an Dritte zu übertragen.

Ergebnis

Das LG gibt folglich den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen statt.

Des Weitern verwendete Quellen:

https://www.dr-bahr.com/news/amazon-haftet-fuer-urheberrechtswidrige-produktfotos-seiner-marketplace-verkaeufer.html

https://www.dr-bahr.com/news/amazon-haftet-fuer-urheberrechtswidrige-bilder-seiner-marketplace-verkaeufer.html

 

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