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BGH: Prüfpflicht des Suchmaschinenbetreibers bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen

In einem Urteil vom 27.02.2018 (Az.: VI ZR 489/16) hat sich der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (im  Folgenden BGH) – etwas vereinfacht ausgedrückt  – mit der Frage beschäftigt, ob eine Person von Suchmaschinenanbietern, wie „Google“ oder „Yahoo“ verlangen kann, dass diese nicht auf Beiträge verlinken, in denen die Person als „Arschkriecher“, „Terrorist“ und „Schwerstkrimineller“ bezeichnet wird. Der folgende Beitrag will dieses Urteil kurz darstellen, konzentriert sich dabei aber auf die vom BGH geprüften Unterlassungsansprüche. Nicht angesprochen werden Probleme aus der Zulässigkeit der Klage1 und die vom BGH zwar geprüften, aber abgelehnten Ansprüche des Klägers auf Einrichtung eines Suchfilters (Rn. 53 des Urteils), Auskunft über die Identität der Verfasser der beleidigenden Beiträge (Rn. 54 ff. des Urteils) und auf Geldentschädigung (Rn. 57 f. des Urteils).

Sachverhalt

Geklagt hatte ein Ehepaar, das IT-Dienstleistungen anbietet und beim Aufsetzen eines Internetforums geholfen hatte, das der BGH als „F-Internetforum“ bezeichnet. Beklagte waren der Suchmaschinenbetreiber „Google“ und eine deutsche Tochtergesellschaft des Konzerns, die Werbeflächen im Internet (u.a. auch auf der Seite der Kläger) vermarktet. Letztere hatte, nachdem Mitglieder des „F-Internetforums“ mit Mitgliedern eines anderen Internetforums in Streit geraten waren, dem Kläger eine Beschwerde-E-Mail weitergeleitet. Auf Grundlage seiner Antwortmail stellten Dritte die IP-Adresse und Identität des Ehemannes fest und leiteten diese an das mit dem „F-Internetforum“ verfeindete Forum weiter, welches die Kläger daraufhin in Internetbeiträgen unter anderem als „Arschkriecher“, „Terroristen“ und „Schwerstkriminelle“ bezeichnete.

Das Ehepaar wandte sich daraufhin an „Google“ und bat um Löschung von mehreren „Links“, die über die Suchmaschine auffindbar sind bzw. waren und die zu den die Persönlichkeitsrechte verletzenden Inhalten weiterleiteten. Nach einer elektronischen Korrespondenz mit dem Kläger entfernte „Google“ einige Verknüpfungen, allerdings nicht alle, von denen die Kläger eine Löschung wünschten.

Das Ehepaar erhob daraufhin Klage zum LG Köln, das in seinem Urteil vom 16.09.2015 (Az.: 28 O 14/14) „Google“ dazu verpflichtete, „es zu unterlassen, einzelne Verknüpfungen [(insgesamt 22)]auffindbar zu machen und die Klage im Übrigen [abwies]“ (zit. aus der Sachverhaltsfeststellung des BGH). Das OLG Köln wies auf die Anschlussberufung von „Google“ die Klage insgesamt ab (Urteil vom 13.10.2016, Az.: 15 U 173/ 15), ließ aber die Revision zum BGH zu.

Rechtsauffassung des Senats

a) Anspruch aus Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

Der Senat erwog zunächst einen Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG aufgrund einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und stellte zuerst fest, dass „Google“ nicht unmittelbar Störer ist, denn der Suchmaschinenbetreiber hat die Beiträge nicht selbst verfasst und nachdem die „Verlinkung“ automatisch mittels crawler-Programmen hergestellt worden war, sich diese Inhalt nicht zu eigen gemacht (vgl. zur „Zu-eigen-Machung“ von beleidigenden Inhalten im Internet: https://www.for-net.info/2018/04/17/die-beleidigungen-im-internet-am-beispiel-von-deepfakes/).

Der Senat führt weiter aus, dass aber auch von einem mittelbaren Störer Unterlassung verlangt werden kann, wenn er willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechtsguts beiträgt. Gerade der Begriff der Kausalität ist aber sehr weit. Mit einer bereits früher verwendeten Formulierung (vgl. BGHZ 209, 139 Rn. 22) weist der BGH daher darauf hin, dass dies nur dann der Fall ist, wenn der mittelbare Störer durch sein Vorgehen bzw. Unterlassen eine Verhaltenspflicht (meist eine Prüfpflicht) verletzt. Auf diese Weise soll eine Belastung Dritter „über Gebühr“ verhindert werden. Der Umfang der Verhaltenspflicht bestimme sich daher nach Zumutbarkeitskriterien.

Im Folgenden stellt der Senat die in seiner Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Verhaltenspflichten von Hostprovidern dar: Bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten ist der Hostprovider als mittelbarer Störer nach Ansicht des BGHs nur dann verantwortlich, wenn er – etwa durch eine Anzeige des Betroffenen – Kenntnis von der Störung erlangt. Hierzu reicht nach Sicht des BGH aber nicht aus, dass die Verletzung von Persönlichkeitsrechten (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) nur behauptet wird, weil diese Rechte mit dem Recht des Providers auf Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK) in Einklang gebracht werden müssen. Dementsprechend sei es bei einer schlüssigen Behauptung einer Rechtsverletzung erforderlich, dass der gesamte Sachverhalt ermittelt und bewertet wird. Erst dann kann der Provider evtl. zur Entfernung der beleidigenden Beiträge verpflichtet sein.

Diese Ansätze können aus Sicht des Senats im Grundsatz auch auf einen Suchmaschinenbetreiber übertragen werden. Allerdings seien geringere Anforderungen an dessen Prüfpflicht zu stellen. Dies begründet der BGH damit, dass zwischen dem Suchmaschinenbetreiber und dem Verfasser der persönlichkeitsrechtsverletzenden Texte – anders als beim Hostprovider – in der Regel kein Vertragsverhältnis besteht. Dem Betreiber der Suchmaschine würden daher meist nur die Angaben des Betroffenen zur Verfügung stehen. Die Kontaktaufnahme zum unmittelbaren Störer und damit eine Einholung seiner, für die Ermittlung des Sachverhalts (häufig) notwenigen Stellungnahme (sog. notice-and-take-down-Verfahren), sei daher erschwert. Stellt man (zu) hohe Anforderungen an die Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbetreibers, befürchtet der Senat, dass der Suchmaschinenbetreiber, insbesondere wenn der unmittelbare Störer nicht auffindbar ist oder nicht antwortet, eher dazu tendiert, alle Internetseiten aus dem Suchindex zu entfernen, um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Damit könnten als problematisch empfundene aber rechtlich zulässige Beiträge als Ganze unauffindbar werden. Der Senat fürchtet also (wohl), dass er die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG) beschneiden könnte, wenn er zu hohe Anforderungen an die Prüfpflicht der Suchmaschinenbetreiber stellt2.

Der BGH will eine spezifische Verhaltenspflicht des Suchmaschinenbetreibers daher erst annehmen, wenn „er durch konkrete Hinweise Kenntnis von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung erlangt hat“ (Rn. 36 des Urteils). Als Beispiel für einen solchen Rechtsverstoß nennt der Senat unter anderem Kinderpornografie, Aufrufe zur Gewalt gegen eine Person, eindeutige Schmähkritik oder das Vorliegen eines rechtskräftigen Titels gegen den Störer.

Der Senat führt anschließend aus, dass an das Vorliegen einer Schmähkritik aber hohe Anforderungen zu stellen seien. Dem Suchmaschinenbetreiber sei es daher in der Regel nicht möglich festzustellen, ob das Interesse des Störers oder das des Betroffenen überwiege. Auch im konkreten Fall liegt nach Auflassung des BGH keine für „Google“ eindeutig ersichtliche Schmähkritik vor. Der Senat stellt zwar fest, dass die verwendeten Schimpfwörter persönlichkeitsverletzend seien, bemerkt jedoch, dass auch diese nicht zur zusammenhanglosen Diffamierung genutzt werden. Damit treffe den Suchmaschinenbetreiber keine Verhaltenspflicht zur Löschung der Beiträge.

Der BGH verneint folglich einen Anspruch der Kläger gegen „Google“ aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG.

b) Anspruch wegen unzulässiger Datenerhebung oder -übermittlung

Der BGH erwog außerdem einen Unterlassungsanspruch der Kläger gegen „Google“ aus § 1004 BGB analog, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 4, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 BDSG a.F. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung (Februar 2018) noch eine alte Fassung des BDSG galt. Aus diesem Grund wird die Anspruchsprüfung hier nur verkürzt dargestellt.

Der Senat stellt zunächst fest, dass das BDSG auf den Fall grundsätzlich anwendbar ist (Rn. 43 des Urteils) und führt dann kurz aus, dass das in § 57 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) normierte Medienprivileg dem Anspruch des Klägers jedenfalls nicht entgegensteht, weil „Google“ die Daten automatisch auflistet und damit (mangels Selektivität) keine journalistisch-redaktionelle Gestaltung vorliegt.

Anschließend verneint der Senat das Argument des Beklagten, dass ein Anspruch gegen den Suchmaschinenbetreiber subsidiär zu Ansprüchen gegen den Betreiber der streitgegenständlichen Internetseite sei. Der BGH verweist hierzu auf ein Urteil des EuGHs (NJW 2014, 2257 Rn. 82 ff.). Außerdem führt der Senat aus, dass diese Ansprüche aufgrund der möglicherweise vorliegenden, divergierenden Interessen auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen könnten.

Nachdem der Anspruch aus § 1004 BGB analog, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 4, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 BDSG a.F. auf die Unterlassung einer unzulässigen Erhebung und Übermittlung von Daten gerichtet ist, diskutiert der Senat anschließend, ob beim Verlinken auf die streitigen Inhalte eine solche unzulässige Datenerhebung und -übermittlung vorliegt. Dies verneint er mit Hinweis auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 BDSG a.F. Die Seiten, auf die „Google“ verlinkt, seien allgemeinzugängliche Quellen. Auch sieht der BGH kein überwiegendes Interesse des Klägers, weil hier erneut die oben genannten Grundrechtspositionen kollidieren. Mithin liegt nach Ansicht des Senats keine unzulässige Datenerhebung seitens „Google“ vor.

Der BGH verneint daher auch den Anspruch des Klägers aus § 1004 BGB analog, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 4, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 BDSG a.F.

c) Ergebnis des Senats

Der Senat kommt damit zu dem Ergebnis, dass der Kläger von „Google“ nicht verlangen kann, nicht auf die fraglichen Seiten zu verlinken.

d) Lob und Kritik in der Literatur

Die Literatur begrüßt, dass der BGH seine Rechtsprechung zur Störerhaftung von Suchmaschinenbetreibern konsequent fortsetzt, kritisiert aber, dass die vom BGH aufgestellte Formel unklar sei. Wann eine offensichtliche und auf den ersten Blick erkennbare Rechtsverletzung vorliege, könne nicht an objektiven Maßstäben beurteilt werden.

Auf Zustimmung trifft hingegen wohl auch die Folge des BGH-Urteils: Der Betroffene muss sich zur Entfernung der Beiträge in der Regel an den unmittelbaren Störer wenden und nicht an den Suchmaschinenbetreiber. Nachdem der BGH aber auch einen Auskunftsanspruch des Betroffenen gegen den Suchmaschinenbetreiber verneint hat, fordern etwa Gounalakis/Muer (Quelle 1), dass eine anonyme oder pseudonyme Äußerung im Internet (§ 13 Abs. 6 TMG) keinen Schutz erfahren dürfe, wenn es sich dabei um eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung handelt. Notwendig sei daher ein gesetzlicher Auskunftsanspruch.

 

Fußnoten:

1 Nachdem der Sitz des beklagten Suchmaschinenbetreibers in Kalifornien (USA) liegt, musste der BGH auf die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit und die Anwendbarkeit deutschen Rechts eingehen. Beides bejahte der BGH mit Verweis auf Art. 40 EGBGB (vgl. Rn. 22 des Urteils) bzw. § 32 ZPO (vgl. Rn. 16 des Urteils).

2 Diese Ansicht des BGH ist nicht unumstritten. Der Senat selbst verweist in einer Klammer auf eine Anmerkung von Rau zum Urteil der Vorinstanz (Quelle 3). Dieser kritisiert, dass die Rechtsansicht des OLG Köln, der sich der BGH angeschlossen hat, den Betroffenen zu Unrecht belaste, denn der Suchmaschinenbetreiber habe eine ebenso gute Chance den Verfasser des Beitrags aufzuspüren wie der Betroffene.  Auch merkt Rau an, dass der unmittelbare Störer sich der Kontaktaufnahme bewusst entziehen könnte. Der Autor weist außerdem auf ein Urteil des BVerfG hin, das in der Belastung eines Presseunternehmers mit einer Ersatzzahlung, die dieser aufgrund der Verletzung der pressemäßigen Sorgfalt zu leisten hatte und deren Höhe seine Existenz bedrohte, keine Verletzung der, ebenfalls in Art. 5 Abs. 1 GG verankerten, Pressefreiheit sah, weil Art. 5 Abs. 1 GG nur die Pressefreiheit an sich, nicht aber den einzelnen Presseunternehmer schütze.

Quellen:

  1. Gounalakis/Muer, Reaktive Prüfpflicht für Google ab Kenntnis einer offensichtlichen Rechtsverletzung, NJW 2018, 2299.
  2. BGH, Urt. v. 27.02.218 (Az.: VI ZR 489/16), veröffentlicht in NJW 2018, 2324.
  3. Rau, Anmerkung zu OLG Köln, Urt. v. 13.10.2016 (Az.: 15 U 173/ 15), K&R 2017, 60 f.

 

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